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Passivnaya
Bad news for the Crews

Vor allem von den Hubschrauber-Crews gefürchtet - die MANPADS-Systeme (im Bild FIM-92A "Stinger"). Da sie weder bei Zielsuche und -Erfassung noch zur Zielverfolgung aktiv Signale ausstrahlen werden sie oft erst im Anflug auf das eigene Luftfahrzeug endeckt. Zur Reaktion bleiben dann oft nur noch Bruchteile von Sekunden.
Allerdings funktionieren MANPADS nur mit einer Rechweite von wenigen Kilometern und bis in Höhen von 3.000 bis max. 5.000m.
Foto: US Navy
Im Afghanistan Krieg der 80er Jahre wurde sie berühmt, die "Stinger". Die CIA beschaffte den "Mujaheddin" etwa 1.000 dieser leichten, tragbaren, passiv gelenkten Flugabwehrwaffen (MANPADS). Die Sowjets büßten beinahe 300 Luftfahrzeuge - in der Mehrzahl Hubschrauber - ein.

Heute sind sie noch immer die MANPADS-Geißel aller tief und langsam fliegenden Maschinen und sowohl die Russen in Tschetschenien als auch die Amerikaner und ihre Verbündeten in Afghanistan und im Irak bekommen diese Bedrohung nur schwer in den Griff.
Bisher haben die Amerikaner bei den Operationen "Enduring Freedom" und "Iraqi Freedom" 44 Luftfahrzeuge und 38 Besatzungsmitglieder durch solche Waffen verloren. Die Verluste der Russen in Tschetschenien - vor allem beim Personal - waren weit größer. Alleine der Verlust eines voll besetzten Mi-26 hatte den Tod von über 100 russischen Soldaten zur Folge.

Der Vorteil dieser Waffen - sie brauchen zur Zielerfassung selbst keinerlei aktive elektromagnetische Ausstrahlung - und verraten somit nicht ihre Anwesenheit.

Grund genug für alle die dazu in der Lage sind oberhalb der Reichweite dieser Waffen zu fliegen. Das übliche Einsatzprofil eines Kampfjets sieht daher heute Flughöhen über 4.000m vor, welche - soweit notwendig - nur sehr kurz unterschritten werden. Hoch genug, damit die kleinen tragbaren Raketen die Maschinen nicht erreichen und tief genug für die Piloten der Flugzeuge, dass sie ihre präzisionsgesteuerten Waffen (Video, Laser, Radar, GPS) ins Ziel bringen.

Die großen Flugabwehr-Raketen mit hohen Reichweiten benötigen bisher aktive Unterstützung durch Radaranlagen mit hochfrequenter energiereicher Sendeleistung, welche den Standort der Leitanlage(e) sowie deren Betriebsmodus (Zielsuche, Zielverfolgung, Raketenlenkung) verrät.

Der Schutz vor den Raketen großer Reichweiten erfolgt durch die SEAD/DEAD(*)-Teams - hochspezialisierte Crews in speziellen Flugzeugen, welche einen "elektronischen Krieg" gegen die radargesteuerten Flugabwehrstellungen ausfechten und sie mit Anti-Radar-Raketen ausschalten bevor diese ihrerseits Raketen abschießen oder diese ins Ziel bringen können.

Eine Taktik die möglicherweise bald der Vergangenheit angehört, denn Russland arbeitet an neuen Zielsuch- und Raketenlenksystemen.

In der Luft...

Seit Mitte der 80er Jahre gibt es Gerüchte über die Existenz von Anti-AWACS-Raketen für die sowjetischen/russischen Kampfflugzeuge. Diese sind Varianten der R-27 (NATO: AA-10 "Alamo"), bezeichnet als Versionen "P" (Passivnaya) und "EP" (Energeticheskaya Passivnaya) des russischen Raketenherstellers "Vympel".
Die offizielle Bestätigung der Existenz kommt jetzt parallel mit einem Schritt, der eine signifikante Änderung der Waffenexport-Politik der Russischen Föderation darstellt.
Was früher nicht einmal den Verbündeten im Warschauer Pakt anvertraut wurde, ist seit kurzem im Export erhältlich. Offenbar als Antwort auf die erfolgreichen NATO-Luftkriege gegen Staaten mit mehrheitlich russischem Material bietet Russland jetzt die R-27P/EP zum Kauf an.

Die mit ihren trapezförmigen "Schmetterlingsflügeln" sehr charakteristische Rakete wurde ausgestattet mit einem passiven Suchkopf (Typ: PRGS-27 oder 9B-1032) im SHF-Band (Zentimeterwelle) welcher von der CKBA-Fabrik in Omsk hergestellt wird.

Zwei Antriebsversionen stehen zur Verfügung. Der P-Version, ausgestattet mit einem Feststofftriebwerk welches baugleich ist mit jenem der R-27R- und R-27T Versionen, werden Reichweiten von 80km bis 150km nachgesagt. Mit dem Triebling der EP, baugleich mit jenem der R-27ER- und R-27ET Versionen, sollen es Reichweiten von 120km bis 250km sein.

Die Rakete soll geeignet sein folgende Ziele zu bekämpfen:

Einschränkend wird in den Daten zur Rakete angegeben, dass die Stromversorgung des Suchkopfes derzeit noch zeitlich beschränkt ist und einen Einsatz bis zur vollen theoretischen Reichweite der EP-Version nicht zulässt. Vympel arbeitet an einer Steigerung der Betrieszeit um Einsatzreichweiten bis 200km zu ermöglichen.

Mit der "Passivnaya" können Su-27 und Su-30MK sowie die chinesischen Typen J-8 und J-10(Su-27) ausgerüstet werden.
Foto: Martin Rosenkranz

Die charakteristischen trapezförmigen "Schmetterlingsflügeln" sind das beste Erkennungsmerkmal der R-27, welche in mittlerweile sechs Versionen existiert und für den Luftkampf auf große Entfernung entworfen wurde.
Foto: Martin Rosenkranz

...und am Boden

Als wären das nicht schon ausreichend schlechte Neuigkeiten kündigen sich auch beim neue russische bodengestützte Flugabwehrsystem S-400 "Triumf" (NATO: "SA-20") entsprechende Neuerungen an.

Die erste Batterie der S-400, welches eine Weiterentwicklung der S-300 darstellt, wird heuer operationell. Das System ist in der Lage ballistische Kurz- und Mittelstreckenraketen bis 3.500km Reichweite sowie Flugzeuge im C4ISR-Spektrum (AWACS, JSTARS, Jammer, etc.) auf große Distanzen (bis 400km) zu bekämpfen.
Lt. Gen Alexander Gorkov, Chef der russischen Luftverteidigung, gab an, dass S-400 derzeit auch in Kombination mit dem passiven elektronischen Waffensystem "Kolchuga" getestet.

"Kolchuga" wird von Topaz in Donetsk/Ukraine hergestellt. Das Gerät erfasst, analysiert und identifiziert "praktisch alle bekannten Emitter von Flugzeugen" (lt. Hersteller) wie z.B. Funk, Radar, TACAN-Navigation, Datenübertragung, Radarhöhenmesser, etc. im Frequenzband 0.1 - 18 GHz ohne selbst aktiv zu senden - und verrät seine Stellung dabei nicht.
Montiert auf drei 6-Rad LKWs im Abstand von 60km zueinander befinden sich jeweils vier Antennen für die Bänder VHF, UHF und SHF, mit welchen in einem 1-5° breiten Sektor auf bis zu 600km und in einem 45° breiten Sektor auf rund 200km emittierende Ziele gesucht werden können. Ein vierter LKW enthält die Anlagen zur Signalverarbeitung.
Im Zusammenspiel mit der neu entworfenen "48N6DM" Rakete für das S-400 System und der Zielerfassung durch das passive Kolchuga sollen Luftziele auf bis zu 400km Entfernung zu bekämpfen sein ohne selbst elektromagnetische Signale auszusenden.

Das S-400 System ist ein nahezu baugleicher Nachfolger des S-300 Systems (S-300 "Favorit" im Bild).
Foto: Martin Rosenkranz

Ein Werfer mit vier fast 10m hohen Raketenbehältern.
Foto: Martin Rosenkranz

Das 30N6 "Flap Lid B" Zielfolge- und Lenkradar für das S-300/400-System arbeitet im 2-3 GHz Band.
Foto: Martin Rosenkranz

64N6 "Tombstone" Rundsuchradar für das S-300/400-System arbeitet im 4-6 GHz Band.
Foto: Martin Rosenkranz

Mit - je nach Ausstattung - mindestens vier verschiedenen Raketen kann das S-300/400-System Luftziele von 10m bis 30km Höhe, in Entfernungen von 1km bis 400km und bis zu Zielgeschwindigkeiten von 3.000m/Sek. bekämpfen.
Foto: Martin Rosenkranz

Im 54K8 Kommandofahrzeug arbeiten sechs Systembediener.
Foto: Martin Rosenkranz

Drei solcher Fahrzeuge sowie ein Kommandofahrzeug bilden das "Kolchuga"-System.
Foto: Martin Rosenkranz

Der Antennenkomplex von "Kolchuga" erfasst aktive Sender in der Luft im Frequenzband von 0.1 bis 18 GHz.
Foto: Martin Rosenkranz

Geänderte "Spielregeln"

Mit einiger Wahrscheinlichkeit sind das die Vorboten einer ganzen Reihe von Systemen, welche die Antwort auf die Einsatztaktiken der USA/NATO am persischen Golf und am Balkan darstellen.
Nie zu vor in der Geschichte war der Druck auf die Flugabwehr so groß und die Erfolglosigkeit der Verteidigung so offensichtlich wie in den genannten Konflikten.
Dass mancherorts angesichts dieser Umstände bei der Fliegerabwehr-Gemeinde erheblicher technischer Nachholbedarf geortet wurde ist verständlich.
Jedenfalls erscheint bei der Weiterentwicklung der Taktiken in Zukunft der Kontrolle der Eigenemissionen eine zunehmend größere Bedeutung zuzukommen. Verriet man früher nur sein kommen, macht man sich in Hinkunft vielleicht schon zum Ziel ohne die geringste Vorwarnung durch einen entsprechenden Warnsensor zu bekommen.
Noch schwieriger, wenn die gewohnten zentralen Führungselemente (AWACS und Co.) eines Konfliktes in der Luft - zumindest vorrübergehend - gezwungen wären abzuschalten um sich aus der Schusslinie zu nehmen. Ohne die Koordination und die Frühwarnung durch diese Einheiten sind viele der heute gültigen und erprobten Taktiken "Schnee von Gestern".
Und dass die Herstellerstaaten - wie auch bei den MANPADS - bezüglich einer Proliferation dieser Technologie an "wer-auch-immer-zahlt" keine Bedenken haben, trägt auch nicht gerade zur Beruhigung bei.

Martin Rosenkranz

*) SEAD = Suppression Enemy Air Defense / Unterdrückung der feindlichen Flugabwehr
DEAD = Destruction Enemy Air Defense / Zerstörung der feindlichen Flugabwehr