Der "Fall Titanic" - Griechenland erhält sechs neue U-Boote !

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Gleich vorweg: Das ist kein Militärluftfahrtthema. Dennoch betrifft das Geschilderte indirekt jeden EU-Bürger und somit eine über unser Kernthema weit hinaus gehende Leserschicht. Zudem hat auf dieser Plattform - sonst hierzulande ausgeblendete - Sicherheitspolitik stets ihren Platz gefunden.

Dunkle Wolken?

Wir erinnern uns: Im Frühjahr 2010 drohte das Schulden-Desaster Griechenlands die europäische Gemeinschaftswährung zu sprengen, machte Milliarden an gigantischen Not-Krediten nötig - auch in Österreich. Binnen Wochen quer durch die EU-Parlamente beschlossen, soll der kurz danach installierte, noch riesigere ‚€-Schutzschirm' nun übrigens als Insolvenzfonds zur Dauereinrichtung werden. Sprich - vereinfacht - die ‚reichen' EU-Länder sollen auf Dauer für die ‚armen' gerade stehen damit die Währung ‚stabil' bleibt. Man kann von Herrn Faymann's Volksabstimmungs-KRONE-Kapriolen oder deren Ausbleiben amüsiert bis angewidert sein, es wäre aber fast illusorisch zu erwarten dass man ‚uns' - also jene Anteile an Leistungsträgern in den Unionsländern - dazu befragt. Nicht sosehr wegen innenpolitischer Rücksicht um den eigenen Sessel. Viel zu offensichtlich scheint mittlerweile die Angst der EU-Eliten dass EUropa scheitert, dass entlang natürlicher - in diesem Fall fiskalisch/ökonomischer - Nord/Süd-Bruchlinien ein möglicherweise recht ‚lauter' Zerfall des ‚Friedensprojekts' erfolgen könnte...

Niemand wünscht sich das bzw. blendet es aus, aber wenigst die "versoffenen, rechtsradikalen und einzusparenden" (Attribute aus Zeitungsforen der letzten Wochen) Berufspessimisten im Militär beschäftigen sich schon länger damit: (http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/07_eqv.pdf). Im Lichte jener nunmehrigen griechischen ‚Konsolidierungsmaßnahme' wurde in jenen Quellen das beschriebene Szenario des ‚worst-case' der EU-Integrationsentwicklung visionär zutreffend als "Fall Titanic" bezeichnet. Es geht hier nämlich im doppelten Sinne ums ‚Untergehen'. Wir hier - oft ja als dumpe Militaristen geziehen - haben es in Wahrheit immer gefühlt. Geben wir's zu: Das dringendste das Griechenland in Hinkunft braucht sind - erraten: U-Boote! Und das ist genau was die Hellenen jetzt machen bzw. was Ihnen von ihren ‚Rettern' abverlangt wird…

Stimmt schon, ‚Pacta sunt servanda' war uns 2007 viel wert, da hätten wir keinen Cent an Justitius Koziol gebraucht. Aber zum Unterschied zu den auch in der Luft üppig gerüsteten NATO-Griechen ging es bei uns damals um die (zudem neutrale) Existenzfrage der Souveränität bzw. Handlungsfreiheit im Luftraum. (Gott bewahre, wir hätten noch eine Adriaküste mit grauen Schiffen zu sichern, im Lokal VI im Parlament würden es nie finster werden…) Man wird den pazifistischen Unterton hier vielleicht nicht erwarten, aber jene Grundsätze der Staatlichkeit sind in Griechenland heute nicht in Gefahr und waren es - ‚dogfights mit den Türken über der Ägäis hin oder her - auch nie. Dennoch realisiert sich dieser Tage ein Szenario wie es actionreicher selbst der legendäre Bavaria-Kameramann Jost Vacano mit seiner Handkamera auf dem ‚Run' durch das ganze Film U-Boot bis in den Bugraum - ganz ohne Computergrafik - nicht hätte drehen können:

"Täuschkörper absetzen!"

Wir erinnern uns, 2007 hat man auch hierzulande versucht, mit einer Abnahmekomödie politische Zeit zu gewinnen. Es wurde mehr eine Tragikkomödie ("Einführungsflugbetrieb in Manching", Mir ist es egal wo der Flugkörper landet…"), denn der wahre Meister dieses Spiels sitzt am Olymp. Griechenland hat vor 10 Jahren bei Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH (HDW) in Kiel insgesamt vier U-Boote der Exportversion 214 des ‚legendären' Weltmarktführers bei konventionellen U-Booten ‚Typ 212', mit seinem außenluftunabhängigen Brennstoffzellenantrieb bestellt. Volumen etwa 2 Mrd. €.

Als das erste 214er für die Griechen fertig war, wurde es am 22. April 2004 von Evangelia Vassiliki, einer Nachfahrin des Freiheitskämpfers Dimitrios ‚Papanikolis' auf den Namen des Volkshelden getauft. Die drei weiteren Boote ‚Pipinos', ‚Matrozos' und ‚Katsonis' sollen in Skaramangas gebaut werden. In Folge wurde das erste Boot aber wegen - erraten - "technischer Mängel nicht abgenommen." Die Deutschen untersuchten selbst und das Boot bekam vom deutschen Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung u. a. ein Gütesiegel für seine technische Tauglichkeit. Der stellvertretende Außenminister Panajotis Beglitis - sicher ein ebensolcher Insider in ‚undersea-warfare' wie der Wr. Bürgermeister für die Wehrpflicht - erklärte damals aber gegenüber dem Radiosender der Stadt Athen: "Das U-Boot lässt sich aus großer Entfernung sehr leicht lokalisieren. Wir werden nicht für defekten U-Boote bezahlen noch sie erhalten." Das hat doch was von "bei Minusgraden nicht flugfähig", oder? Damaligen griechischen Presseberichten zufolge hätten sich beide Seiten sogar darauf geeinigt, das U-Boot an ein drittes Land zu verkaufen, eine konkrete Interessensbekundung wäre bereits vorgelegen. Griechenland sollte aber "die anderen drei U-Boote erhalten, sobald festgestellt worden ist, dass diese den Anforderungen genügen…"

Anm.: Auch bei Krauss-Maffei Wegmann waren Ende 2009 aus einem Auftrag für 170 ‚Leopard'-II noch knapp über 300 Mill. € nicht bezahlt. Wohl sind die Panzer mittlerweile allesamt nach Griechenland geliefert, die technische Abnahme aber stand aber bei einigen Dutzend ebenfalls noch aus. Ähnlich geht es ‚Eurocopter'. Bei der Donauwörther EADS-Tochter hat die griechische Armee 20 NH90-Hubschrauber bestellt, aber teilweise noch nicht bezahlt, die Verhandlungen mit den Griechen liefen 2009 noch immer, so das Unternehmen. Die Amerikaner hatten ähnliche Probleme mit C-130 und AH-64 Bestellungen.

"Alle Mann nach vorraus"…

Doch nun ist alles anders. Seit 11. April gibt es einen Griechenland-Rettungsschirm von 45 Milliarden (!) €, abzüglich 15 Mrd. von der Weltbank waren es 30 Mrd. welche die EU-Finanzminister - als gewählte Volksvertreter in unserem Namen bzw. sicherlich zu unserem Besten - aus den Mitgliedsstaaten Athen bereit stellten. Natürlich nicht zu marktüblichen Zinsen. Der Kraftakt half. Auch den griechischen ‚Submarinern'. Kaum drohte Griechenland die Zahlungsunfähigkeit, entspannte sich der "deutsch-griechische U-Boot-Krieg" (DER SPIEGEL) auf wundersame Weise.

Während die EU ein Milliardenpaket für Athen schnürte, durchschlugen die Hellenen den gordischen Knoten. Es war Spitzenmeldung auf der laufenden EURONAVAL-Messe in Le Bourget: Vor einigen Tagen hat die griechische Regierung ausstehende Forderungen an HDW's Mutterkonzern Thyssen-Kruppp Marine Systems (TKMS) in Höhe von 200 Mill. € beglichen, der jahrelange Vertragsstreit seit 2006 wird als ausgeräumt bezeichnet. Die Verträge zur Umsetzung des Framework Agreements, die am 30. September von der griechischen Regierung, ‚Thyssen-Krupp Marine Systems' (welchen inzwischen HDW gehört) und der ‚Abu Dhabi MAR Group' (welche an der griechischen Tochterwerft in Skaramangas interessiert war) unterzeichnet worden waren, sind am 27. Oktober 2010 wirksam geworden. Die Verträge bilden die Grundlage für die Übertragung von 75,1% der Anteile an der griechischen Werft an die Abu Dhabi MAR, die sofortige Abnahme der bislang gebauten Boote sowie - und jetzt kommts - die Bestellung von zwei weiteren U-Booten der Klasse 214 im Rahmen des bestehenden ‚Neptun-II' Programms (anstelle der Modernisierung zweier älterer griechischer U-Boote der Klasse 209 oder ‚Archimedes'-Pgm.). Bingo, alles bleibt besser..!

Die griechische Marine schickt in den nächsten Tagen eine Crew um das neue Boot zu übernehmen und noch im November heimzubringen. Es erfülle jetzt - hört, hört - die geforderten Leistungsnachweise uneingeschränkt bzw. läge teilweise deutlich darüber… Wie es das dt. Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung eben bereits im Oktober 2008 bestätigt hatte - an der Lokalisierbarkeit des Bootes wird sich inzwischen wohl wenig geändert haben…

Reiner Zufall?

Natürlich rein zufällig hat sich somit die Anzahl der 214er für die hellenische Marine - wobei natürlich jedem aufrechten Verteidiger seines Landes wenigst einmal in seiner Dienstzeit neues Material vergönnt ist - nun also auf sechs erhöht. Anfangs fragten wir etwas pazifistisch, ob es U-Boote wären was die Griechen jetzt dringendst brauchen. Die Antwort ist: Ja. Aber nicht (nur) wegen Vertragstreue, Jobs in Werften bzw. deren europäische Gläubigerbanken. Peanuts! Vielmehr hat die türkische Marine bereits am 22. Juli 2008 ebenfalls sechs jener U-Wasser Renner bestellt, Auslieferung bis 2015. Alles klar? Da können die beiden Ministerpräsidenten noch so telegen Händeschütteln und vom "Abbau der Potentiale in der Ägäis" fabulieren. Krise hin oder her, in der Ecke wird sich lang nichts ändern - und alle ‚haben was davon'…

Wie war das überhaupt möglich?

Als williger Empfänger neuester aber - Fotografen waren stets entzückt - selbst von Jordanien ausrangierter Flugzeuge oder deutscher Schiffe, spielten die traditionell hohen griechischen Rüstungsausgaben von gut 4% BIP auch bei der Frage eine Rolle, wie es denn möglich war dass Athen überhaupt mit 1.1.2001 in die €-Zone gelangen konnte. Davon profitierte nicht nur die deutsche Rüstungsindustrie, die Deutschen wurden aber auch tonnenweise DDR-Material wie etwa tausende SA-8 Flugabwehrraketen los. Was sie aber nicht ahnten: Manche der ständigen Beschwerden der griechischen Abnehmer hingen auch mit der €-Aufholjagd zusammen. Finanzminister Papantoniou beschreibt heute den Haushaltstrick: In Griechenland nahmen Experten-Ausschüsse die gelieferten Rüstungsgüter ab, z. B. U-Boote oder Kampfflugzeuge. Wenn sie fanden, dass einer der vielen ‚Anforderungsstandards' nicht erfüllt war, lag die Ware zwar schon in Griechenland, haushaltsrechtlich war sie aber noch nicht da. Solange man das hinzog, wurde praktisch das gesamte Auftragsvolumen aus der offiziellen Defizitstatistik heraushalten. Bezgl. der deutschen U-Boote also nicht nur die noch ausstehenden 550 Mill. €, sondern auch die bereits finanzierten und bezahlten 1,5 Mrd. €. So wurde das Defizit wurde entsprechend kleiner (gemacht).

Wenigst damit ist nun unter den installierten rigiden Budget-Beobachtungsmechanismen des Griechenland-Schutzschirms Schluss. Hoffentlich. Denn EIN Boot mit allem Drumherum entspricht in etwa dem was das österr. Bundesheer bis 2014 einsparen muss. Wir müssen das sowieso stets unterstdotierte Bundesheer fast zusperren, damit sie in der Ägäis weiter umeinander herumtauchen können...
(bewusste Simplifizierung)

Chronologie: 2000 und 2002: In den Jahren 2000 und 2002 erhalten die Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH (HDW) und der Tochter Hellenic Shipyards S.A. (HSY), Athen, von der griechischen Regierung Aufträge über die U-Boot-Bauprogramme ‚Archimedes' und ‚Neptun-II'.

2005: Thyssen-Krupp erwirbt HDW mitsamt der griechischen Tochtergesellschaft HSY. Seit damals werden von den griechischen Regierungen keine vertraglich fälligen Ratenzahlungen auf die beiden U-Bootprogramme mehr geleistet.

2006: 2006 bieten HDW und HSY dem griechischen Kunden das erste U-Boot der Klasse 214, die PAPANIKOLIS, zur Abnahme an. Der Kunde weigert sich, das Boot abzunehmen, obwohl es sämtliche geforderten Leistungsnachweise uneingeschränkt erbringt und diese teilweise sogar deutlich übererfüllt. Dies hat das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) im Oktober 2008 bestätigt.

2006 bis 2009: Thyssen-Krupp führt zahlreiche Gespräche mit griechischen Regierungen, die zu keiner Lösung führen.

21. September 2009: HDW und HSY kündigen die Verträge über ‚Archimedes' und ‚Neptun-II'. Grund ist der Vertragsbruch aufgrund ausstehender Zahlungen in Höhe von inzwischen über einer halben Milliarde Euro.

2009: Seit Dezember 2009 finden Gespräche mit Vertretern der griechischen Regierung auf der einen und Abu Dhabi MAR und Thyssen-Krupp Marine Systems auf der anderen Seite über eine Gesamtlösung für Hellenic Shipyards statt.

18. März 2010: Die drei Parteien unterschreiben eine Grundsatzvereinbarung (Framework-Agreement).

März 2010: Verhandlungen über die vertragliche Umsetzung des Framework-Agreements beginnen.

11. April 2010: Wegen eines drohenden Staatsbankrotts Athens legen die Finanzminister der 16 Euro-Staaten Volumen und Raten eines ‚Rettungsschirms' für Athen fest. Alleine 2010 stellen die Europartner bis zu 30 Mrd. € und der IWF zusätzlich bis zu 15 Mrd. bereit, sollte die griechische Regierung die Unterstützung einfordern. Deutschland springt nach Angaben Bonns mit Haftungen für max. 8,4 Mrd. € ein, Österreich mit ebensolchen von 858 Mill. bis - die Angaben divergieren - max. 2,28 Mrd.

30. September 2010: Die Umsetzungsverträge werden unterschrieben.

27. Oktober 2010: Sie treten in Kraft. Die griechische Werft wird verkauft, ein Boot in Deutschland und drei in Griechenland werden abgenommen, zwei weitere werden hinzugefügt.

Das Air- bzw. ausnahmsweise Naval-Power-Team