Nicht erschrecken, unsere Überschrift hat nichts mit sinistren Geheimplänen wildgewordener Militärs oder der - in bestimmten Kreisen immer schon vermuteten - drohenden Militarisierung der EU zu tun. Es handelt sich schlicht knapp um die Anzahl, welche Ende 2010 Siemon T. Wezeman vom bekannten Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI für die letzten Jahre an weltweitem Zulauf von neuen bzw. modernisierten Kampfflugzeugen festgestellt hat. Zusammengefasst in: "International Transfers of Combat-Aircraft, 2005-2009" In der Schweiz scheint die politische Debatte um neue Flugzeuge - siehe Motion der SiK - auf kleiner Flamme weiter zu köcheln, in Österreich wallt sie dafür bei jedem aufleuchtendem Lämpchen im "grundkorrupten und unnötigen Teurofighter" (© Wiener Boulevard) wieder hoch. Da und dort hat die Aufregung beidseits des Bodensees aber etwas Gemeinsames, wenn auch in der Einstellung von Politik und Volk fühlbar unterschiedlich gewichtet. Sie findet in entwickelten Demokratien statt, in welchen solche Beschaffungen öffentlich - wenn auch medial bisweilen schwachsinnig - diskutiert werden (können).
Einsatzrolle macht den Unterschied...Dies sehr zum Unterschied zu einem guten Teil der im SIPRI-Bericht aufgeführten Länder, wie auch Hr. Wezeman im Gespräch unterstreicht. In vielen Staaten werde einfach beschafft was die Führung für nötig erachtet - ohne jede öffentliche Diskussion oder gar Abstimmung. Das hat oft mit der historischen Entwicklung jener Länder zu tun. Aber auch haben Nationalstolz und noch mehr Patriotismus in vielen Weltgegenden keineswegs das nach 1945 in Europa entstandene ‚anrüchige' Stigma, ja manifestiert sich dort eben oft mit Staffeln die über Ehrentribünen donnern bzw. innere und äußere Feinde einschüchtern sollen. "Ganz offensichtlich besitzen Kampfjets in vielen Staaten heute vor allem hohen Symbolwert", so der Analytiker holländischer Herkunft. Er habe zu Beginn seines Reports auch jene Staaten im Mittleren Osten oder Asien gemeint, wenn er ausführt dass "durch Fähigkeit für überraschende und weitreichende Luftschläge, Kampfflugzeuge zu den Waffen gehören die Potenzial haben, Instabilität zu verursachen und zu projizieren." Auf den Hinweis dass das nur zutrifft wenn man auch Bewaffnung für Luftangriffe (samt Pylonen, Software, Training etc.) beschafft bzw. es auch Länder - wie Österreich - gäbe die gerade einmal in 40 Jahren widerwillig ein paar Jets zur Luftraumüberwachung um einen Betrag ersetzen den sie jährlich (!) in die Tunnellöcher der defizitären Staatsbahn stecken, gesteht Wezeman Manchen gewisses berechtigtes Bedürfnis zur defensiven Verwendung sowie Transparenz zu. Er verweist aber auf israelische Luftangriffe 2007 gegen Syrien oder russische gegen Georgien 2008 und meint: "Es ist eher die Ausnahme, dass explizit keine Angriffsbewaffnung dazu beschafft wird. Wir haben jene wo genannt jedenfalls eingerechnet."
Trockene ZahlenIn den letzten fünf Jahren haben also weltweit fast 1.000 Jets Absatz gefunden. Dabei dominieren als Hersteller die USA, Russland, die Europäer oder China, während unter den Abnehmern besonders Indien, die Arabischen Emirate und Israel herausstechen. Zusammen mit Bewaffnung und Zubehör (z.B. Simulatoren), werden heute deutlich mehr als die Hälfte des Umsatzes der gesamten Rüstungsbranche für luftgestützte System ausgegeben. Nur 11 Staaten stellen zurzeit strahlgetriebene Kampfflugzeuge her, von bewaffnungsfähigen Jet-Trainern einmal abgesehen. China, Frankreich, Indien, Japan, Russland, Schweden und die USA produzieren national entwickelte Flugzeuge, während Deutschland, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich zu gemeinsamer Entwicklung, Produktion und Vertrieb eines Typs ein Konsortium gründeten. Eine ganze Anzahl weiterer Staaten bieten zudem modernisierte bzw. Gebrauchtflugzeuge an.
‚Die Zwei'...Russland und die USA sind und bleiben - mit grossem Abstand - die beiden gewichtigsten Anbieter bzw. Verkäufer von Kampfflugzeugen (so wie bei allen andern wichtigen konventionellen Waffensystemen). US-Flugzeuge machten 2005-2009 rund zwei Fünftel der gesamten Rüstungsexporte Washingtons aus, für die unter Putin gerade frisch staatlich-zentralisierte russische Industrie waren es fast die Hälfte. Zuletzt haben in den Zahlen die Amerikaner die Führung übernommen, in der Periode 2000-2004 führten noch die Russen. Exporte repräsentieren einen beträchtlichen Anteil an beider Flugzeugproduktion, beide hatten in den letzten fünf Jahren einen eigentlich konstanten Auftragseingang über Kampfjets zu verzeichnen. Die USA exportierten - wegen der unterschiedlichst angelegten FMS-Militärhilfe bzw. jener an Israel betont Hr. Wezeman bewusst nicht das Wort ‚verkaufen' verwendet zu haben - 331 Stk. F-16C, F/A-18E und F-15E und erzeugten eine ähnliche Anzahl von F/A-18E und F-22 für den Eigenbedarf. Russland konnte 215 Su-25, Su-27, Su-30 und MiG-29 absetzen, was im Gegensatz zu den USA aber die Produktion für die eigenen Streitkräfte um das Zehnfache (!) überstieg. Was zurzeit an neuen Bestellungen bekannt ist, dürfte das Verhältnis für die USA sich nicht viel ändern, während der Analytiker glaubt dass "der Produktionsanteil russischer Maschinen für den Eigenbedarf sich deutlich erhöhen wird." Die neuen Baumuster Lockheed's F-35 JSF und Suchoj's PAK-FA wurden übrigens noch nicht berücksichtigt, wegen der jahrelangen Test-Verzögerungen im JSF hätte es - so Wezeman - im Berichtszeitraum ja noch (immer) keine Produktion echter Serienmaschinen gegeben und der PAK-FA (T-50) flog erst im Jänner 2010 erstmals.
…und ‚der Rest'China, Japan und die Europäer wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden oder UK stellen sich im Report inhomogen dar. Die Produktion läuft dort überwiegend - oder wie im Falle Japans F-2s per Gesetz explizit - für den Eigenbedarf der nationalen Militärs, Exportaufträge kommen nur fallweise. Oft spricht die Politik zwar gern von ‚High-Tech-Jobs', verhält sich aber - das ist lt. Wezeman der ‚entwickelten' Mediengesellschaft geschuldet - punkto aktiver Unterstützung gerade von Kampfflugzeugexporten sehr passiv. So beklagt z.B. Florian Hahn von der bayrischen CSU, dass "hier politisch viel zuwenig für den Eurofighter ‚Typhoon' in Indien unternommen wird, wir stehen dort im grössten Fighter-Campaign!" In Wahrheit aber läge - lt. dem Autor ein Kuriosum - auch samt der strikten Waffenexportgesetze Deutschland als Exporteur über das gesamte Spektrum insgesamt an dritter Stelle. Noch vor den Briten und Franzosen, welche "von den deutschen Herstellern jedoch wegen der leichteren Bestimmungen punkto Export beneidet werden." Am Flugzeugmarkt sticht das nicht, keine Rafále wurde verkauft und die ‚deutschen' Exporterfolge waren die - letztlich die eigenen 15 Eurofighter noch kastrierende - ‚Antithese' Österreich und Anteile am Gov-to-Gov-Deal von BAE mit Saudi-Arabien. Die Volksrepublik China hat 41 Stk. der F-7 (MiG-21 Kopie) und des Leichtjäger-Neuentwurfs JF-17 exportiert, hat aber ungleich mehr Exemplare der Eigenentwicklung Chengdu J-10, J-11 (Su-27 Lizenz, bzw. deren unlizenzierte Version J-11B) und des Schiffsbekämpfers JH-7 (genannt ‚Hammer der Volksmarine', eine Art ‚grosser Jaguar' mit von RR-Spey kopierten Triebwerksderivaten) für den Eigenbedarf produziert. Abgesehen von Jet-Trainer Deals (K-8) in Afrika, hat China bislang nur einen echten Exportkunden: Pakistan. Die ersten JF-17 der PAF wurden bereits in Dienst gestellt, lt. Wezeman können es an die 150 werden. Für die stärkere J-10 gibt es - dort als FC-20 - eine Absichtserklärung ebenfalls aus Pakistan, Angola, Nigeria, Venezuela und Zambia interessieren sich dafür.
Die ‚üblichen Verdächtigen'…Auf Seiten der Hauptabnehmer neuer Kampfflugzeuge stechen zwei Regionen deutlich hervor. Indien und der Mittlere Osten. Das - ebenso wie China - von der Finanz- und Kreditkrise nur wenig beeinträchtigte Indien rüstet gerade in der Luft gewaltig auf und unterstreicht damit seinen Status als aufstrebende Weltmacht. Zwar ginge es - so ein Sprecher der IAF zu COCKPIT 2008 in Nellis - lt. der Regierung nur darum die 29 Staffeln auf die lange schon geplanten 40 zu bringen und altes, unfallträchtiges Material wie alte MiGs auszuscheiden, was da aber in den nächsten 10 Jahren in indische Shelter gestellt werden soll sucht seinesgleichen: Die bereits erwähnte Ausschreibung von 126 Mehrzweckkampfflugzeugen über 11 Mrd. US$ brachte Ende 2010 die Staatschefs aller teilnehmenden Länder - ausser Schweden - nach Indien, nacheinander wiesen Obama (F-16IN, F/A-18 E/-F), Sarkozy (Rafále) und Cameron (‚Typhoon') in ihren ‚inoffiziellen Gesprächen' selbstverständlich Premier Manmohan Singh auf die Vorzüge und ‚Technologiekooperationen' ihrer Muster hin. Russlands Präsident Medwedew hatte indes im Dezember wohl wichtigeres zu pushen als die Exportneuauflage MiG-35. Er unterzeichnete mit Indien die jahrelang verhandelte gemeinsame Weiterentwicklung des erst vor einem Jahr geflogenen russischen Stealth-Jägers T-50 (PAK-FA). Indien schiesst rd. 8 Mrd. US$ in dessen Weiterentewicklung und möchte ca. 250-300 Stk. davon. Das natürlich zu den obigen 126 und während auch die Lizenzfertigung der Su-30MKI weiterläuft. Bislang wurden 115 in Dienst gestellt, ca. 240 der sicherlich potentesten ‚Flanker'-Version stehen in den Büchern von HAL. Nebenbei erwähnt sind noch MiG-29K/-KUB Marineflugzeuge im Zulauf und eine Modernisierung der indischen ‚Jaguar' und Mirage-2000 ist im Gange. In Summe umfassen die indischen Pläne gut über 700 neue Plattformen… "Das ist unglaubliches Potenzial in einem sehr fragilen Umfeld", so ein besorgter SIPRI-Autor Wezeman. Er stimmt mit uns überein, dass sich Indien zwar auch durch Pakistan und deren chinesische Aufrüstung (s. oberhalb), vielmehr aber durch Rotchina selbst bedroht bzw. herausgefordert sieht.
‚Pulverfass' Nah- und Mittelost…Gefolgt wird Indien von Streitkräften im Mittleren Osten, zuvorderst von den Vereinigten arabischen Emiraten. An die UAE-AF wurden im Berichtszeitraum von den USA 87 Stk. der bislang stärksten ‚Faclon' F-16E/-F ausgeliefert. Parallel dazu erhielt - wieder vermeidet Wezeman das Wort ‚kauft' - Israel weitere 83 F-16I (‚Sufa'). Gewaltig gestärkt wird die amerikanische Rüstungspolitik im Mittleren Osten noch durch einen 60 Mrd. US$-Auftrag aus Saudi-Arabien der im Bericht aber noch nicht berücksichtigt wird. Die Hälfte besteht in 84 neuen F-15SA welche dort die F-15C/D ersetzen wird, sowie dem angleichenden Upgrade von 70 F-15S (geliefert bis 1999). In Summe wird Riad 150 zweisitzige F-15SA einsetzen, womit der ‚Eagle' - neben Lieferungen an Korea (61) und Singapur (24) - ein zweites Leben eingehaucht wird. Siemon Wezeman bestätigt die Einschätzung dass die Potenziale in dieser Region als Verteidigung bzw. Furcht gegenüber dem Iran begründet sind, dessen embargobedingt grossteils veraltete Luftwaffe aber viel weniger Bedrohung darstellt als sein Raketen- und Nuklearprogramm.
2005-2009 haben 44 Länder neue, oder von anderen Luftwaffen überlassene gebrauchte Flugzeuge erhalten, darunter z.B. Algerien (32), Bangladesh (16), Jordanien (36), Syrien (33), Venezuela (24), Chile (28), Polen (48), der Sudan (12) und Jemen (37).
Georg MADER
www.airpower.at bedankt sich bei Hr. Siemon T. Wezeman für die Genehmigung zur Verwendung der Grafiken. |