Historisch betrachtet war Informationsbeschaffung die erste militärische Verwendung von Flugzeugen. Im Italienisch-Türkischen Krieg wurden im September 1911 von Italienischer Seite mehrmals Flugzeuge zum Einsatz gebracht um Türkische Positionen vor Tripoli aufzuklären, wodurch die Italiener in die Lage versetzt wurden ihre zahlenmäßig stark unterlegene Truppe optimal aufzustellen und die Türkischen Angriffe abzuwehren.
Anfangs noch mit bloßem Auge ausgerüstet nahmen die Piloten im ersten Weltkrieg alsbald Fotoapparate mit, als sie die Erfahrung machen mussten, dass ihren Berichten am Boden oft wenig Glauben geschenkt wurde. Seit damals und bis heute ist die Technik der Luftaufklärer ständig weiterentwickelt worden. Neue Technologien im Bereich der digitale Bildproduktion und Auswertung, Echtzeit-Daten und -Videoübertragung und die immer selbstverständlichere Verwendung unbemannter Luftfahrzeuge haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen, die klassische taktische Luftaufklärung bisher jedoch nicht obsolet gemacht.
Das AG 51 "I" am Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein verfügt über all diese Fertigkeiten und Gerätschaften und steht damit auch täglich im Einsatz.
Geschichte
Das Aufklärungsgeschwader 51 ist das jüngste Geschwader der deutschen Luftwaffe. Es wurde am 1. Januar 1994 in Dienst gestellt. Die Deutsche Luftwaffe hatte im Zuge der Truppenreduzierungen durch das Ende des kalten Krieges zwischenzeitlich die Fähigkeit zur abbildenden Luftaufklärung verloren. Standort und Luftfahrzeuge wurden vom aufgelösten Marinefliegergeschwader 1 (MFG 1) übernommen. Personal kam sowohl vom MFG 1 als auch von aufgelösten Luftwaffenverbänden.
Mit der Auflösung des Marinefliegergeschwader 2 (MFG 2) wurde dem AG 51 per 1.Januar 2005 auch die Aufgabe der Seekriegsführung aus der Luft übertragen. Bewaffnet mit den Lenkwaffen Kormoran und HARM wird seither auch dieser Auftrag durchgeführt. Diese beinhaltet z.B. auch simulierte Angriffe auf deutsche Marinekräfte um diese zu beüben.
Seit 2. April 2007 nimmt das Geschwader im Rahmen der internationalen Unterstützungsmission ISAF mit sechs Tornados von Mazar-e-Sharif am Einsatz in Afghanistan teil. Im Zuge dieser Mission kamen ab 2009 auch die neuen digitale Aufklärungsbehälter RECCE-Lite samt verschlüsselter Datenfernübertragung zu Auswertestationen zum Einsatz. Ein Auftrag der in Kürze endet. Erst vor wenigen Wochen hat die deutsche Bundesregierung beschlossen die Aufklärungs-Tornados bis November diesen Jahres abzuziehen.
Kommodore des Aufklärungsgeschwader 51 "Immelmann" ist Oberst Karsten Stoye. Seit mittlerweile drei Jahren führt der 48jährige Offizier den Verband - und das nicht nur in Deutschland sondern auch im Rahmen des ISAF Einsatzes vor Ort in Mazar-e-Sharif/Afghanistan.
Aufklärungsmittel im AG51
Die 1.Staffel des AG51 ist Heimat aller Tornados des Geschwaders. Sie hat alle Maschinen der 2. Staffel übernommen, in welcher hinkünftig sämtliche unbemannten Systeme des Geschwaders organisiert sind.
Der German Air Force (GAF) Recce Pod des AG51 ist mit zwei Nassfilmkameras und einem Infrarot-Linescanner ausgestattet und eignet sich vor allem für Aufklärung im Tief- und Tiefstflug. Drei Linsentypen stehen für die Nassfilmkameras zur Verfügung. Mit dem Trilens-System können mit drei 80mm Linsen pro Einsatz 1.850 Aufnahmen angefertigt werden. Mit dem Pentalens-System mit fünf 57mm Linsen pro Einsatz 2.480 Aufnahmen. Alternativ steht ein 610mm Telelens-System für bis zu 1.200 Aufnahmen pro Flug zur Verfügung. Der obligatorisch eingebaute Infrarot-Linescanner hat mit 48GB Speicher bis zu 64 Minuten digitale Aufnahmekapazität.
Der moderne RecceLite Pod ist rein äußerlich ident mit dem Litening-Zielbeleuchtungsbehälter, das Innenleben ist jedoch ein anderes. Der RecceLite Pod produziert hochauflösendes digitales Bildmaterial bei Tage und Nacht aus niedrigen und mittleren Höhen mit Hilfe von Infrarot- und optischen Sensoren. Die gesammelten Bilddaten können nicht nur im internen Massenspeicher abgelegt sondern können mit Line-of-Sight-Breitbandübertragung die Aufklärungsergebnisse in nahezu Echtzeit während des Fluges an die Bodenauswertungsstation übermittelt werden.
Diese Probleme kennt man in der 2.Staffel nicht. Dort sind beim AG51 die Unmanned Aerial Systems - kurz UAS - zuhause. Wem das Wort Drohne über die Lippen kommt der riskiert gleich eine Rüge. Aktuell hat das AG 51 genau genommen gar keine eigenen UAS. Die Heron 1 welche in Afghanistan vom AG 51 eingesetzt werden sind vom israelischen Hersteller IAI geleast. Und auch hier nicht eine gewisse Stückzahl sondern der Vertrag bezieht sich auf Flugstunden pro Monat.
Heron 1 ist ausgerüstet mit dreh- und schwenkbaren, hochauflösenden elektrooptischen Infrarot- und Tageslicht-Kameras mit welchen sowohl Fotos als auch Videos erstellt werden können sowie mit einem Synthetic Aperture Radar (SAR) welches Radarbodenbilder liefert. Abgerufen werden diese Bild-, Film- und Sensordaten über einen Bereitband-line-of-sight Datenlink welcher Videoübertragung in Echtzeit auf ein Remote Video Terminal zur Unterstützung der taktische Operationsführungen ermöglicht.
Ein Gespräch mit den gerade erst geschulten Piloten offenbart, das man beim AG 51 noch nicht wirklich mit dem eher gemächlichen Tempo eines MALE UAS vertraut ist - vom Tornado war man deutlich anderes gewöhnt. Das relativiert auch etwas die lange theoretische Einsatzdauer von rund 24h eines "Long Endurance" UAS. Immerhin muss auch An- und Abmarsch zum Zielgebiet eingerechnet werden.
Die Steuerung des UAS erfolgt aus einer Operationszentrale - genannt "Advanced Ground Control Station" - in Form eines Containers vor Ort. Die Crew besteht aus zwei Soldaten, dem Piloten der Air Vehicle Operator (AVO) genannt wird und dem Sensorbediener welcher als Payload Operator (PO) bezeichnet wird.
Vor Ort ergeben sich daraus Einschränkungen im Bezug auf die Einsatzmöglichkeiten der UAS. Nicht nur die Übertragung der Sensordaten auch die Steuerung benötigt eine line-of-sight Funkverbindung. Liegt zwischen der Operationszentrale und dem Einsatzgebiet des UAS eine Bergkette steigt schnell die Mindestflughöhe unter welcher das UAS die Funkverbindung verlieren würde.
Eine Alternative zur line-of-sight Steuerung der UAS bietet eine Satellitenverbindung. Damit kann die Steuerung des UAS praktisch weltweit von einem Ort aus erfolgen. Was bei der Heron 1 aber noch eine theoretische Möglichkeit ist, wird beim demnächst erwarteten jüngsten Kind des AG51 wohl zur Alltagsroutine.
Beim HALE (High Altitude Long Endurance ) UAS EuroHawk handelt es sich um eine Variante der von Northrop Gumman produzierten RQ-4E Block 20 "Global Hawk". EADS wird dieses UAS mit einem Sensorkomplex zur elektronischen Aufklärung ausstatten. EuroHawk wird dann außerhalb des eigenen Territoriums als SIGINT (Signal Intelligence) Aufklärer für die Bundeswehr Funkdaten aus dem Bereich der Kommunikation (COMINT) als auch elektronische Signale für andere Zwecke (ELINT) erfassen und zur Auswertung und Analyse nach Deutschland übertragen.
Die Auswertung
Die NATO kennt - vom Flugfeld über Kasernen, Straßen, Schiffe, Industrieanlagen, etc. - grob 19 Zielkategorien. Doch das ist nur der Anfang. Die höheren Weihen der Auswerterei erreicht wer System nicht nur klassifizieren sondern auch identifizieren kann und deren rundherum kennt. Zu welchem Flugabwehrsystem gehört das entdeckte Radargerät, welche Einheiten benutzen das entdeckte Fahrzeug und zu welcher Flugzeugtype gehört das vor dem Hangar abgestellte Zubehör wie Leiter, Schleppstange, etc. ? Nur - wie läuft das mit der Auswertung in Afghanistan ? Dort hat man es nicht mit einer regulären Armee zu tun deren Fahrzeug und Gerätschaften man kennt und die "nur" gefunden werden müssen. Nicht nur aus der Luft betrachtet schaut ein Afghane wie der andere aus. Wie also unterscheidet man einen friedlichen Paschtunen vom radikalislamischen Taliban ?
Im Prinzip sucht man nach Unregelmäßigkeiten. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier - auch in Afghanistan. Routine bestimmt maßgeblich unser tägliches Leben und auch unsere Bewegungsmuster. Abweichungen von diesen Mustern fallen auf und werden näher betrachtet. Das kann ein Auto sein, dass aus unerfindlichen Gründen auf freier Strecke steht und dessen Insassen gerade die Umgebung begutachten. Und dies kann dann z.B. ein Hinweis sein auf das Versteck einer IED ( Improvised Explosive Device ). Solche Sprengfallen sind eine der Hauptursachen für Verluste im Irak und in Afghanistan. Das kann auch ein Zelt in den Bergen sein. Camping ist eher keine Freizeitbeschäftigung in Afghanistan und Ziegen sind auch keine zu sehen, dafür sind im Zeitraffer einiger Aufnahmen verteilt über mehrere Tage Büsche zu entdecken die ihre Position verändern bzw. viel zu schnell wachsen. Auch das ein Hinweis über Vorgänge die eine nähere Betrachtung rechtfertigen. Und ebenfalls eine Aufgabe der Aufklärung die Kontrolle der Straßen, Wege und Brücken auf Passierbarkeit und Hindernisse, welche einen Konvoi oder Patrouille stoppen und der Gefahr eines Feuerüberfalls aussetzen könnten. Eine ganz andere Art der Aufklärung stellt die Möglichkeit der Echtzeit-Videobild-Übertragung mit dem MALE UAS dar. Dieses aktuelles Lagebild landet bei Bedarf ohne Verzögerung bei den Gefechtsständen und unterstützt so die Kommandeure der Einsatzkräfte bei ihren Entscheidungen vor Ort. Die Gerätschaft der Luftbildauswerter ist sämtlich in Containern untergebracht - nicht nur am Einsatzort Afghanistan sondern auch in Jagel. Einen ganzen Hangar füllen die Container - praktisch jeder Zeit bereit binnen kurzer Zeit per LKW, Schiff und/oder Lufttransport zu einem Einsatzort in oder außerhalb Deutschlands transportiert zu werden. Die Arbeitsstationen für die Bearbeitung der klassischen Nassfilmaufnahmen des GAF Recce Pods und des digitalen RecceLite Pods unterscheiden sich naturgemäß etwas. Der Nassfilm durchläuft in wenigen Minuten die Entwicklung und wird dann in weiterer Folge an einem Leuchttisch von zwei Auswertern bearbeitet. Bei Bedarf kann an diesem Tisch eine Aufnahme auch gleich digitalisiert werden.
Die digitalen Aufnahmen des RecceLite benötigen natürlich keine Entwicklung und auch keinen Leuchttisch, sie landen gleich auf Flachbildschirmen, wobei die Auswertestation im Digitalbereich nur mit einem Auswerter besetzt wird.
Allzu viel Zeit haben die Auswerter für ihren Job übrigens nicht. Je nach Auftragslage müssen die ersten Ergebnisse bereits deutlich vor Ablauf einer Stunde beim Bedarfsträger abgeliefert werden. Und selbst umfassendere Analysen dürfen nur wenige Stunden in Anspruch nehmen - nicht viel Zeit wenn tausende Aufnahmen zu sichten sind. Das digitale Zeitalter ermöglicht es hier auch zu einem rascheren Ergebnis zu kommen. Bei guter Datenlinkverbindung beginnt die Arbeit an den gerade erst geschossenen Bildern noch bevor die Aufklärungsmaschine mit dem Pod wieder zurück ist. Und das Auswerteteam hat mit seinen Arbeitsstationen ständig Zugriff auf das digitale Archiv, aus welchem sämtliche ältere Aufnahmen bei Bedarf zu Vergleichszwecken sofort abrufbar sind.
Abzug aus AfghanistanEnde September gab Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bekannt, dass bis Ende des Jahres die in Mazar-e-Sharif stationierten sechs Aufklärungs-Tornados aus Afghanistan abgezogen werden. Bereits im November sollen Mannschaften und Gerät wieder in Jagel landen. Das Aufklärungsgeschwader 51 bleibt aber weiterhin mit den Heron 1 UAS in Afghanistan tätig.
Taktische Aufklärung - Gestern - Heute - Morgen
Gefragt nach der Zukunft der Aufklärung im Hinblick auf die Entwicklungen im Bereich Digitaltechnik und unbemannte Systeme zeigen sich sowohl Oberst Karsten Stoye also auch Piloten der 1. Staffel - und sogar Piloten der UAS-Systeme der 2.Staffel überzeugt, dass der bemannten taktische Aufklärung im Tiefflug auch in Zukunft große Bedeutung zuzumessen ist.
Abschließend bleibt zu hoffen, dass nicht der Rotstift der aktuell überall grassierenden Einspaarungswut an der Fähigkeitspalette des AG 51 nagt. Denn nachdem die Schweizer Luftwaffe die Fähigkeit zur operativen Aufklärung mit dem Abstellen der Mirage III im Jahr 2003 verlor und Österreich im Zuge der Eurofighter-Beschaffung gleich im Ansatz kläglich gescheitert ist in diesem Bereich begrenzte Kapazitäten zu schaffen (geplant und zu Papier gebracht waren sie), ist das AG 51 "I" der letzte deutschsprachige Einsatzverband welcher über solche Fähigkeiten verfügt. Martin Rosenkranz für www.airpower.at
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