Kein Aprilscherz: „Neutralität ist was von gestern!“
Schweden schickt Gripen über Libyen

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Der schwedische Oberbefehlshaber Gen. Sverker GORANSON: "Mit Stolz stellen wir der Regierung unsere Luftwaffe zur Verfügung. Es sind extrem gut ausgebildete Einheiten, operabel mit der NATO und für ähnliche Missionen trainiert. Das Engagement ist als Teil der umfassenden Anstrengungen erforderlich, um eine Lösung der Krise in Libyen zu erreichen."

Schwedens Ausseminister Carl Bildt im Video (anklicken zum abspielen)

Gripen über der Wüste
Foto: Saab

„Schweden muß Verantwortung übernehmen, wenn Menschen in Gefahr sind!“

Es scheint, in Deutschland könne man wegen eines Militäreinsatzes eine Wahl verlieren, in Frankreich eine solche gewinnen. Dieses Dilemma der europäischen Außenpolitik ist im libyschen Luftraum so deutlich sichtbar geworden wie lange nicht mehr. In der Tat ist die jeweilig individuelle Haltung zur militärischen Intervention quer durch die EU so unterschiedlich, daß die – auch in unserer ‚neuen‘ Sicherheitsstrategie angepeilte - gemeinsame europäische Außenpolitik eigentlich undenkbar scheint. Der innereuropäische Streit über den Militäreinsatz gegen Gaddafi dokumentiert jedenfalls, wie dramatisch das sicherheitspolitische Gewicht in Europa auseinanderdriftet.

Es gab vor zwei Wochen Umfragen, nach denen 80% der Deutschen gegen eine militärische Intervention in Libyen waren. Gut, das mag – permanenter Sicherheitsratssitz hin oder her - mit wichtigen Regionalwahlen zu tun haben, kann aber durchaus auch mit historischen Reflexen zu tun haben. Merkel oder Westerwelle hätten das ruhig aussprechen können, dann hätten alle EU- und NATO-Partner das wenigstens verstanden. Immerhin spielt sich das dort zwischen Tripolis und der ägyptischen Grenze ab, Derna, Sollum oder El Agheila sind da auch nicht weit…

Andere Welt…

Ohne diese Schatten der Vergangenheit, sieht das nur wenige Kilometer diesseits der Ostsee schon wieder ganz anders aus. Schweden hat vor einer Woche eine offizielle Anfrage der NATO erhalten, sich an der internationalen Militäraktion über Libyen mit Flugzeugen zu beteiligen. Die schwedischen Streitkräfte haben daraufhin nach Anweisung des Verteidigungsministeriums begonnen die Einsatzplanung für eine Mission über Libyen vorzubereiten, welche im Einklang mit dem Beschluß 1973 des UN-Sicherheitsrates steht. Die schwedische Regierung hat in Folge JAS-39C/D sowie weitere Plattformen für den internationalen Libyen-Einsatz angeboten, erläuterte Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt dem Reichstag.

Informiert wurde bei jener Sitzung auch der neue sozialdemokratische Parteichef Hakan Juholt. Reinfeldt betonte, bei dem Treffen wären Viele in den Regierungsparteien dafür gewesen, zum Schutz von Zivilisten auch die Bevollmächtigung für Angriffe auf Bodenziele zu erteilen. Der Premier wollte aber eine möglichst breite innenpolitische Unterstützung hinter sich wissen. Während Juholts Partei Bodenangriffe ablehnt, ist die liberale Partei Folpartiet strikt gegen jede schwedische Beteiligung. Daher am Ende der Beschluß: Keine Luftunterstützung durch schwedische Flugzeuge, lediglich Flugverbotszonen-CAPs samt Selbstverteidigung. Reinfeldt:„Wir können nicht einfach zusehen, Schweden muß Verantwortung übernehmen, wenn die UN anerkennt daß Menschen in Gefahr sind!“

“Wir sind bereit”…

Am 1. April – kein Aprilscherz – erfolgte das finale ‚Go‘. Das schwedische Parlament hat mit grosser Mehrheit die Entsendung von acht Kampfjets für den NATO-geführten Einsatz in Libyen bewilligt. Der Reichstag stimmte am 1. Aril mit 240 gegen 18 Stimmen für die Libyen-Mission, 5 Abgeordnete enthielten sich. Das schwedische Kontingent umfasst acht JAS-39C/D aus der 1. Division des F17-Geschwaders in Ronneby, eine C-130E/H vom F7 in Såtenäs sowie eine S-102B SIGINT-Gulfstream-IV des F7-Detachements in Malmen. Der Generalinspekteur der Flygvapnet, Anders SILWER detaillierte: "Innerhalb von drei Tagen nach Zustimmung des Parlaments, können wir die JAS-Flugzeuge verlegen. Innerhalb von zwei Tagen können wir dort anfangen zu fliegen. Innerhalb von 15 Tagen nach der Entscheidung des Parlaments werden alle unsere Lagerbestände vor Ort sein."

Der Einsatz ist vorerst auf drei Monate angelegt. Mit den Flugzeugen werden ca. 130 Angehörige der schwedischen Streitkräfte nach Italien oder Griechenland verlegt, das kann noch auf max. 250 anwachsen. Die Kosten werden mit 200 million kronor (31 Millionen US$) angegeben.

„Neutralität ist etwas von gestern…!“

Schweden ist kein Mitglied der NATO, wohl aber der NATO PfP. Nicht nur neuerdings wegen seinem Sprung ins kalte Wasser der Berufsarmee, sondern auch früher war das neutrale Land auch hierzulande ein Vorbild. Auch wegen seiner – im Gegensatz wohl aber dokumentierten – Neutralität wurde Österreich der größte Exportkunde von Schwedens militärischer Flugzeugindustrie. Jene Neutralität wurde logischerweise daher auch am 25. März von SKY NEWS bei Schwedens Außenminister Carl Bildt abgefragt.

Der meinte dazu trocken: „Neutralität? Das ist etwas aus der Vergangenheit, etwas aus der Ära der Sowjetunion. Wir sind nicht neutral, wir sind EU-Mitglied und ein entschlossener Unterstützer der UN. Der UNO-Sicherheitsrat kann außerdem nicht als Konfliktpartei betrachtet werden. Er sei von der internationalen Gemeinschaft mandatiert, den Weltfrieden zu erhalten und die internationale Sicherheit zu gewährleisten. Der Sicherheitsrat ist der legitimierte Ordnungshüter. Wir wollen außerdem dazu beitragen, dass sich der Libyen-Einsatz weiter internationalisiert. Außerdem wurde die Flugverbotszone von der Arabischen Liga unterstützt, bzw. bei der UN angefragt. Wo sollte man da neutral sein?"

EU? UN? War da nicht was?

Österreichische Sicherheitsstrategie, 1.3.2011: …Die sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa sind in steigendem Maß vom Wirken Internationaler Organisationen, insbesondere der Europäischen Union (EU), geprägt. Diese hat sich zu einem anerkannten Akteur mit zunehmender Handlungsfähigkeit in den Bereichen Justiz und Inneres sowie Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt. Die EU steht exemplarisch für politische Stabilität, Sicherheit und Wohlstand.

…Die EU als umfassende Friedens-, Sicherheits- und Solidargemeinschaft bildet den zentralen Handlungsrahmen für die österreichische Sicherheitspolitik. Österreich wird sich an der Sicherheitspolitik der EU in allen ihren Dimensionen beteiligen.

…wird sich Österreich umfassend an der Friedens- und Stabilitätsförderung durch die UN beteiligen, insbesondere am UN-Krisenmanagement in seinem gesamten Spektrum.

…Ferner wird sich Österreich engagiert an der Umsetzung der von Österreich initiierten Sicherheitsratsresolution 1894 (2009) betreffend den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten und der Weiterentwicklung des Konzepts beteiligen.

…Abhängig von internationalen Entwicklungen ist das dortige Engagement anzupassen und gegebenenfalls zu erweitern, etwa … ins nördliche Afrika.

Wir meinen: Wie weitsichtig unsere Entscheidungsträger doch waren! Die erfolgte Kastration der – um die Stückzahl einst für solche Missionen geplanten – mehrmals reduzierten Einsatzmittel genau um jene elektronischen Fähigkeiten die nun Voraussetzung wären, erlauben erleichtertes Schulterzucken und Einreihen in die vorsorglich kultivierte Medienlandschaft, samt deren produziertem Meinungsbild punkto Neutralität. Schweden ist vielleicht doch kein so tolles Vorbild mehr…

Das AIRPOWER.AT-Team