„Raptor“ benannte die US Air Force ihr bislang kampfstärkstes Jagdflugzeug F-22A. Es war der vierte und letztlich erfolgreich akzeptierte Name den das Flugzeug verliehen bekam. Namensgeber war ein verhältnismäßig kleiner Saurier welcher durch seine Rolle als grausamer Klauen-Jäger im Spielberg-Film „Jurassic Park“ populär wurde.
Die Basisdaten der F-22 sind beeindruckend – dauerhaft Überschall ohne Nachbrenner, höchste Wendigkeit durch Schubvektor-Triebwerke, umfassendes Situationsbewusstsein durch modernste Sensoren und Informationsdarstellung, hochagile Raketen in internen Waffenschächten, Stealth....
Umfangreiche Gefechtssimulationen ergaben ein Sieg-Verlustverhältnis von 9:1 zugunsten der F-22 gegenüber den nächstbesten Jagdflugzeugen der Welt, der überwiegende Rest wird überhaupt „zu Null“ geschlagen. Später in mehreren Manövern ausgiebig getestet, degradiert der „Raptor“ seine Übungskontrahenten tatsächlich zu wenig mehr als Zielen. Als so herausragend wird die Leistung des Flugzeuges eingeschätzt, dass der US Congress sogar den Export verbot – selbst engste Alliierte der USA wie Japan und Australien mussten dies zur Kenntnis nehmen und dürfen das Flugzeug nicht kaufen. Kurz gesagt, der „Raptor“ ist in der Welt der Jagdflugzeuge das Maß aller Dinge.
Aber nicht nur technisch, auch finanziell. Die ursprüngliche Planung sah die Beschaffung von 750 Maschinen zu Gesamtkosten von US$ 26 Mrd. ab 1994 vor. Das Ende des kalten Krieges und die enormen technischen Herausforderungen sowie Verzögerungen bei der Entwicklung ließen das Zahlengerüst implodieren.
Über die Jahre wurde die bestellte Stückzahl mehrmals revidiert, von 750 (1994) auf 648 (1996), 438 (1996), 339 (1997), 277 (2003) und schließlich 183 im Jahr 2004. Im Dezember 2011 verließ der 195. und letzte Raptor die Fabrik – 187 davon waren Einsatzmaschinen und acht für die Erprobung. Parallel dazu explodierten über die Jahre die Kosten. Die Programmkosten für Entwicklung und Fertigung betrugen am Ende US$ 66,7 Mrd. Im März 2012 veröffentlichte der US-Rechnungshof die aktuellste Einschätzung und gab die Summe von US$ 412 Mio. pro Flugzeug bekannt. Und damit kein Ende.
Lockheed Martin – Hersteller des Flugzeuges – wurde mittlerweile mit technischen Nachführungen der Maschinen im Volumen von US$ 7,4 Mrd. beauftragt und auch das ist nur ein kleinerer Teil dessen was die US Air Force in Summe dafür budgetiert hat.
Doch die Freude ist alles andere als ungetrübt. Inzwischen ist es mehr als offensichtlich, dass es komplexe technische Probleme gibt und es hinter den Kulissen gärt. Um eines der raren Cockpits zu ergattern, muss man schon zur Elite der US Air Force Jagdpiloten zählen. Dennoch traten zuletzt zwei Raptor-Piloten unter dem Schutz des „Military Whistleblower Protection Act“ in der investigativen US TV-Reportage „60 Minutes“ des landesweiten Senders CBS auf. Die Sensationsschlagzeile, dass zwei hochdekorierte, einsatzerfahrene Piloten sich weigern weiter mit dem Flugzeug zu fliegen macht seither die Runde.
In der kurzen Geschichte der F-22 gab es bisher vier schwere Unfälle. Zu Beginn der Entwicklung gab es einen Crash aufgrund von Schwierigkeiten mit der Erprobung mit der elektronischen Steuerung. An der brandneuen Technologie laborierte nicht nur die F-22, auch ein Gripen fiel der selben Ursache zum Opfer und der erste Erprobungs-Eurofighter durfte erst gar nicht abheben, bis in internationaler Zusammenarbeit die Probleme erforscht und geklärt werden konnten.
Drei weitere Raptor-Unfälle seither waren sämtlich Einsatz-Piloten und -Maschinen, kosteten zwei Piloten das Leben und konnten zwei mal eindeutig auf technische Ursachen zurück geführt werden. Ein Unfall im Dezember 2004 konnte abermals auf das Steuersystem zurück geführt werden.
Bei einem weiteren im November 2010 wurde aber das „OBOGS“ als Unfallursache identifiziert. Und noch ein weiterer Vorfall wurde auf OBOGS zurückgeführt. Während eines Fluges streifte eine F-22 einen Baum. Nach dem Einsatz konnte der Pilot sich an den Vorfall jedoch nicht erinnern.
OBOGS steht für „On-Board Oxygen Generating System“ und bezeichnet ein technisches System welches den notwendigen Sauerstoff für die Atemluft an Bord eines Flugzeuges während des Fluges aus der umgebenden Atmosphäre gewinnt und aufbereitet, anstatt sie wie früher aus Druckluftflaschen an Bord bereitzustellen. Solche Systeme sind seit vielen Jahren beim Militär im Einsatz und die Verwendung in Zivilflugzeugen ist angedacht.
Doch anstatt die Piloten mit Sauerstoff zu versorgen liefert das OBOGS der „Raptoren“ offenbar entweder zu wenig und/oder kontaminierte Atemluft. Geklärt ist das Problem trotz eines flottenweiten Flugverbotes (nicht das erste) von vier Monaten während des letzten Jahres noch immer nicht. Und auch die gesetzten Maßnahmen scheinen keine Abhilfe zu leisten.
Hypoxie bzw. Höhenkrankheit aufgrund Sauerstoff-Mangelversorgung ist eines der gefährlichsten Phänomene welche auftreten können wenn die Umgebungsluft in großer Höhe nicht mehr genug Sauerstoff enthält und technische Alternativen versagen.
Noch bevor man richtig das Bewusstsein verliert kommt es zu Veränderungen der Wahrnehmung. Kopfschmerzen, Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Übelkeit aber auch Euphorie kann ein Symptom sein. Für einen Piloten kann das bedeuten, dass er weder in der Lage ist den Flugzustand zu erkennen und entsprechend zu handeln, wodurch er nicht mehr in de Lage ist zu steuern, gleichzeitig aber auch nicht mehr fähig ist die Notsauerstoffversorgung oder auch nur den Schleudersitz zu aktivieren. Ein tödlicher Unfall ist dann fast unvermeidlich.
In einer ersten Reaktion wurden die F-22 inzwischen mit ‚Notsystemen‘ nachgerüstet. Eine Art Totmann-Bremse in Form eines Fingerclips soll die Notversorgung aktivieren, falls der Pilot nicht mehr reagiert. Und das OBOGS wurde mit einem Aktivkohlefilter nachgerüstet. Alles Maßnahmen welche offenbar hastig und ohne umfangreiche Erprobung Platz griffen. Denn auch nach Einrüstung berichten Piloten von Hypoxie-Symptomen, Und nicht nur das. Ärzte fanden Spuren von Aktivkohle in den Lungen der Piloten.
Der Grund weshalb man die Ursache der ganzen Probleme nicht in den Griff bekommt, dürfte im komplexen technischen Umfeld zu suchen sein. Denn OBOGS für sich ist nichts Neues und wird beherrscht. Jedoch muss es in der F-22 in einem recht schwierigen Umfeld funktionieren. Der Grund dafür ist - „Stealth“.
Anders als die F-117A, welche nur Unterschall fliegen konnte und intern nicht über große Rechnerkapazitäten verfügte, oder die ebenfalls schwer erfassbare B-2, welche mit ihrer Größe viel Platz für die verbaute Technik bietet ist die F-22 ein kompaktes Hochleistungssystem. Enorme Triebwerks- und Computerleistung wurden in die Maschine verpackt. All das produziert eine Menge Hitze. Doch während man bei konventionellen Flugzeugen in der Lage war entlang des Rumpfes Abhilfe zu schaffen, in dem einfach Hutzen und Lüftungsschlitze für Frisch- bzw. Abluft eingearbeitet wurden, ist das bei Stealth-Flugzeugen nicht möglich.
Stealth ist viel weniger ein Ergebnis der Materialwahl denn der Formgebung. Die Form sorgt dafür, dass das Radar nicht zum Sender-Empfänger zurück strahlt und darf somit – mit enormen Aufwand einmal festgelegt – nachträglich nicht mehr verändert werden.
Um die Hitze trotzdem abzuführen zu können, müssen umfangreiche technische Maßnahmen ergriffen werden. So wird. z.B. der Treibstoff zur Kühlung div. Systeme verwendet bevor er schließlich zum Triebwerk gelangt und dort verbrannt wird. Die thermischen und mechanischen Belastungen welchen die Triebwerke ausgesetzt werden sind enorm. Jene Triebwerke welche gleichzeitig auch die Zapfluft bereitstellen mit welcher das OBOGS versorgt wird.
Das Teuflische ist, dass die Extremzustände, welchen die Maschine im Flug ausgesetzt sind am Boden – trotz enormer Anstrengungen - nur unzureichend simuliert und erprobt werden können. Zu diesem Zweck gibt es Erprobungsträger welche, ausgerüstet mit Messinstrumenten, Testflüge absolvieren und die benötigten Daten „erfliegen“.
Das funktioniert allerdings nur, wenn die zu behebenden Probleme unter den dargestellten Bedingungen auch regelmäßig auftreten und somit Messergebnisse liefern. Schwierig wird es wenn – so wie beim Problem der F-22 – die Ursache selten, unregelmäßig und unter nicht konkret eingrenzbaren Bedingungen auftritt. Dann sind Testpiloten und Ingenieure auf Mutmaßungen angewiesen anstatt die Ursache eingrenzen zu können.
Einer der Gründe weshalb trotz ungelöster Probleme mit der F-22 wieder geflogen werden darf, dürfte wohl der Versuch sein eine möglichst breite Basis zur Erfassung von Daten zu schaffen. Flugzeugdaten, Missionsprotokolle und eine Analyse der aufgefangen Stoffe in den Filtern könnten Aufschluss über die Ursachen des Problems liefern.
Allerdings werden Einsatzpiloten damit einem Risiko ausgesetzt, mit welchem sie eigentlich nicht konfrontiert werden sollten. Ausgebildet um das Risiko von Flugmanövern und Kampfeinsätzen zu kalkulieren und in Kauf zu nehmen, müssen sie jetzt als „Versuchskaninchen“ herhalten um jene Daten zu liefern, welche die Testpiloten der Flugerprobung offensichtlich nicht in der Lage sind bereitzustellen.
Dieses Risiko ist es, dass Major Jeremy Gordon und Captain Josh Wilson – beide vom Virginia Air National Guard’s 192nd Fighter Wing - offensichtlich nicht mehr erbringen wollen. Unter dem politischen Schutz des republikanischen Abgeordneten Adam Kinzinger - selbst Air Force Pilot - sollten beide vor Strafverfolgung freilich sicher sein. Allerdings dürfte beiden Piloten zumindest ein jähes Karriereende drohen. Da hilft es auch nicht, wenn beide sich als aktiver Teil einer großen schweigenden Mehrheit sehen und - wie behauptet – ihnen Flugärzte empfohlen haben nicht wieder in diese Maschine zu steigen.
Bleibt nur zu hoffen, dass der extreme Schritt der beiden Piloten insgesamt zu einer Problemlösungsstrategie führt, welche gewährleistet, dass die F-22 ihren Piloten künftig nur mehr aufgrund ihrer militärischen Leistung und nicht aufgrund technischer Probleme den Atem raubt.
Martin Rosenkranz
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