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Luftfahrt-Historische Gesellschaft Vyskov (3)

Am Sonntag, 17. Dezember 1944 fand über Mähren vielleicht die letzte große Auseinandersetzung zwischen der USAAF und der deutschen Luftwaffe statt. Nach Studium der Ausmaße im Museum Vyskov und im Internet kann man auch durchaus von einer - lokalen - "Luftschlacht" sprechen.

An diesem Tag flog die 15. US-Luftflotte von Italien aus die Mission No. 151, die 191 B-17 der 5. Bomb Wing (BW) gegen die synthetische Raffinerie Blechhammer Nord, 105 B-24 der 55. BW gegen die Hydrieranlage Blechhammer Süd sowie 231 B-24 der 49. und 304. BW gegen die Raffinerie Odertal (heute Südpolen) führte. Zum Jagdschutz für die 527 Bomber waren an diesem Tag 93 P-38J und -L der 305. FW und 207 P-51D der 306. FW eingeteilt, in den letzteren flogen u.A. die afro-amerikanischen Jagdpiloten der "Tuskegee Airmen".


So hat man sich am Morgen dieses Tages versammelt, Befehlsausgabe bei der 15th AF in Mittelitalien. (Foto: G.M., Warner-Robbins Museum, GA)
Foto: Georg Mader

Der Flug nach Südpolen geht an die Grenze des Einsatzradius und dauert einige Stunden. Die Bomber fliegen ohne Heizung und Druckkabine in etwa 8.000m mit etwa 380 km/h, die Crews in den geheizten Anzügen und Felljacken haben schon das Kriegsende vor Augen...
Foto: Georg Mader

Die Crews der drei BWs hatten auf ihren "üblichen" Missionen gegen Ziele am Balkan, in Österreich, Süddeutschland, Ungarn und Böhmen seit dem Sommer 1944 keine deutschen Jäger mehr zu Gesicht bekommen - die Luftwaffe schien endgültig geschlagen. Vielleicht war man deshalb seitens der Feindlageoffiziere in den Wings etwas leichtsinnig geworden, jedenfalls waren die Rendevous-Punkte und Zeitleisten mit dem Begleitschutz an diesem Tag sehr allgemein gehalten bzw. großzügig gesetzt worden.

Was man in Italien schlicht nicht wusste, oder welchem man - soll Amerikanern ja hin und wieder auch heute passieren - keine Bedeutung beimaß, war eine große Umschichtung der verbliebenen deutschen Jagdverbände im Zuge der just an jenem Tag anlaufenden Ardennenoffensive. Während alle Fronten - soweit man Ende 44 von solchen sprechen konnte - Tagjäger dafür abgeben mussten, wurden das Jagdgeschwader 300 mit vier Gruppen und 16 Staffeln sowie das JG301 im Raum von südlich Berlin bis Niederösterreich stationiert. Die Piloten der beiden Einheiten waren sog. "Wilde Sau" Nacht- bzw. Schlechtwetterspezialisten, geschult um mit einmotorigen Jägern auch bei Nacht und im Blindflug zu operieren.

Als die "Freya"- und "Würzburg" Radars am frühen Vormittag begannen, die über einer fast geschlossenen Wolkendecke einfliegenden US-Verbände aufzufassen, stellten die Leitoffiziere erhebliche Abstände zu den Begleitjägern fest, bzw. orteten Bomberformationen ganz ohne Geleitschutz. Man begann zwischen Sachsen und der Donau eine komplexe Falle aufzubauen und versetzte Teile des JG300 in Alarmbereitschaft. Um 10.45 Uhr erfolgte der Startbefehl für den Geschwaderstab und die III. Gruppe in Jüterbog (südlich Berlin), für die I. Gruppe in Borkheide (südl. Berlin), für die II. (Sturm)Gruppe in Löbnitz (nähe Leipzig) und für die IV. Gruppe von Fels am Wagram (Niederösterreich). Stab und II. Gruppe flogen schwer armierte und gepanzerte Fw-190A7 und -A8, der Rest war Geleitschutz mit Me-109G10 und -G14. Zusammen starteten innerhalb von 15 Minuten über 100 deutsche Jäger und sammelten sich in den Wolken.


"Real Trouble", ein bekanntes Gemälde des Luftfahrtmalers Keith Ferris. Es zeigt einige der damals "Sturmböcke" genannten FW-190A8 des JG-300, exakt in den Farben von Ende 1944. Oben rechts der Geleitschutz. (Foto: GM, Cavanaugh-Museum, TX.)
Foto: Georg Mader

Ein Grund für jene überlieferte, unbekümmerte Agressivität war sicherlich die Panzerung des Cockpitbereiches in diesen Maschinen. Nur sollte man dann eben mit diesem und dem Gewicht der schweren Waffen nicht auf gegnerische Jäger treffen. Wie sich an diesem Tag gezeigt hat... (Grafik: FW-190 in Combat, Pozdun- Pallas).
Foto: Georg Mader

Die Amerikaner dröhnten inzwischen über Mähren dahin, eine halbe Stunde von ihrem Zielanflugpunkt Zuckmantel (Zlate Hory an der tschechisch-polnischen Grenze) entfernt. Der Commander der 461st BG, Group Cpt. Mixson hatte angesichts des Zieles fast am Ende des Einsatzradius' wegen des Luftwiderstandes seinen Bordschützen befohlen, die unteren Kugel-Türme bereit zu halten, aber nicht auszufahren. Die US-Jäger waren immer noch meilenweit entfernt oder teilw. mit Lokalbahnhöfen in Südmähren beschäftigt.

Über Müglitz (Mohelnice), etwa in der Mitte der Region zwischen den Städten Olmütz, Prerau (Prerov) und Prossnitz (Prostejov) war die deutsche Formation ideal herangeführt, die Deutschen stiegen aus dem Wolken, warfen ihre Zusatztanks ab und griffen um 11.50 Uhr völlig geordnet die B-24 Formationen aus 5 bis 7 Uhr an. Deren Bauchtürme waren inaktiv, kein US-Jäger in Sicht. Was nun folgte, kann man getrost ein Gemetzel nennen - und zwar auf beiden Seiten.


Es gibt keine Bilder des plötzlich hereinbrechenden Massakers. Heute können wir aber jene uns überlieferte "selbstmörderische Agressivität...
Foto: Georg Mader

...selbst in Hinblick auf Kollisionen" der deutschen Jäger im PC nachvollziehen. Und es muss aus Sicht der Beteiligten etwa so ausgesehen haben…
Foto: Georg Mader

Aber es war KEIN Computerspiel. Die Trümmer dieses Tages füllen ganze Schuppen. Hier die Beschriftung der Reste der FW-190A7 "Rote 15" von Uffz. Grund, gefunden samt ihm selbst bei (unter) der Ortschaft Majetin bei Prerov.
Foto: Georg Mader

Der dazugehörige BMW-801 Motor mit den beiden MG131 darüber.
Foto: Georg Mader

Die gepanzerten Focke-Wulfs der Sturmgruppen meldeten allein zwischen 11.53 und 12.03 Uhr den Abschuss von 22 (!) Liberators. Amerikanische Augenzeugenberichte erzählen von extrem knappem Herangehen der Deutschen und (O.Ton) von: "Suicidal agressivness even without respect to collisions…" Die großkalibrigen Kanonen forderten große Opfer, in vielen Bombern starben Besatzungsmitglieder vor dem eigentlichen Abschuss, manche B-24 explodierten mitten in der Formation. Zwei deutsche Sturm-Piloten (Fw. Zwesken und Mjr. Lindenberger) waren zweimal erfolgreich. Die Me-109G Piloten der III. Gruppe meldeten weitere 10 B-24 als vernichtet, Hptm. Jenne zwei davon. Die IV. Gruppe kam nicht heran und meldete "nur" eine B-17 der 5th BW. Die US-Bordschützen meldeten zwischen 7 und 10 Abschüsse. Um 12.20 war es vorbei. Nicht aber für die Deutschen…

Um 12.23 Uhr waren endlich die amerikanischen Jäger heran, zulange hatten sie dem verzweifelten Geschrei ihrer Schützlinge am Funk zuhören müssen. Es zeigten sich rasch zwei Dinge. Erstens dass die Fw-190 der gepanzerten Sturmgruppen keine Kurvenkämpfe mit anderen Jägern führen konnten (nicht einmal mit P-38) und dass das durchschnittliche deutsche Pilotenmaterial Ende 1944 zwar tapfer war, aber einfach keine klassische Luftkampfausbildung, mangels Benzin wohl nicht einmal eine abgeschlossene Ausbildung bekam. In etwa 10 Minuten wurden 33 deutsche Jäger vernichtet, 7 weitere machten bei der Landung Bruch. Die II. und IV. Gruppe des JG300 wurden komplett ausgelöscht und verloren je alle 14, die III. Gruppe 13 Maschinen. Der US-Geleitschutz musste 4 P-38L und 2 P-51D abschreiben.


In einer weiteren Vitrine finden sich Ausrüstung und persönliche Gegenstände von zwei weiteren in der Gegend gefundenen JG300-Piloten, also Fallschirm, Pistole, Abzeichen und Erkennungsmarken, aber auch Uhren, Geldbörsen, Ausweise und Kondome. Die Beteiligten waren - im Schnitt - alle erst ca. 23 Jahre alt, viele noch jünger...
Foto: Georg Mader

So sieht das Propellerblatt eines auf die gefrorene Erde gestürzten B-24 aus. Kinetische Energie zum Betasten...
Foto: Georg Mader

Um 12.35 war die gnadenlose Materialschlacht beendet. Die verbliebenen B-24 - manche Bomb Squadrons waren halbiert worden - flogen weiter und bombardierten ihre Ziele durch geschlossene Wolken mit mäßigem Erfolg. Am Rückflug im Raum Wien checkte übrigens Group Cpt. Mixson die verbliebenen Bomber seiner Wing, als sich eine deutsche Stimme mit seinem korrekten Kennwort einschaltete und höhnisch fragte: "Cpt. Mixson, wo ist denn der Rest Ihrer Formation ?", lachte und auflegte. Der Rest, der war in Mähren geblieben, eine Maschine ("Tulsamerican") machte in der Adria eine Notwasserung. Viele Maschinen brachten Tote und Schwerverwundete zurück nach Italien, etliche waren irreparabel beschädigt.

Zusammen waren fast 90 Maschinen mit etwa 400 Mann in weniger als 45 Minuten vom Himmel gefallen, in einem Gebiet welches man heute in zwei Stunden leicht mit den Auto durchqueren kann. Die Deutschen mussten ein Polizeibattallion von Brandenburg nach Mähren verlegen und brauchten fast 14 Tage um den Großteil der abgesprungenen Amerikaner zu finden, von Dachböden und Kellern bis zu Ehebetten. Manche USAAF-Angehörige schlossen sich tschechischen Partisanen an, ein paar gelangten später bis zu den Russen.


Propeller und Motor einer weiteren FW-190...
Foto: Georg Mader

...sowie einer ME-109G14. Man beachte die überbreiten Propellerblätter dieser letzten Versionen.
Foto: Georg Mader

So manche Opfer dieses Tages liegen aber noch immer dort, in ihren Maschinen, etliche Meter unter den Feldern. Die Luftfahrtarchäölogen des LHS-Vyskov haben es sich nun zur Aufgabe gemacht, möglichst viele der beteiligten Flugzeuge beider Seiten zu finden und - in Zusammenarbeit mit dem USAF-Archive in Wright-Patterson und dem deutschen Bundesarchiv Freiburg - Schicksale der Beteiligten zu klären, Angehörige ausfindig zu machen und Überführungen zu ermöglichen. Teile von etwa 10 Maschinen sowie persönliche Gegenstände von Besatzungen sind ausgestellt, leider nur tschechisch beschriftet. Neben dem kleinen Budget ist es auch hinderlich, dass man nur von nach der Sommerernte und bis vor der Winteraussaat, den Bauern der Umgebung 5 oder 7 Meter tiefe Löcher in die Felder graben kann. Gefunden hat man dabei übrigens auch eine britische Wellington sowie mehrere sowjetische IL-2 "Sthurmoviks", von denen im April 1945 ca. 10 Stk. in der Gegend abgeschossen wurden.

Abschüsse und Verluste des JG-300 am 17. Dezember 1944

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