§ "Titel V" §
Die EU- Rechtsvorschriften
Das Bundes-
Verfassungsgesetz
 

Bundes-Verfassungsgesetz

Die österreichische Verfassungslage im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht einfach.

Zum einen besteht noch immer die Verpflichtung zur "Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität".

Art. 9a.
(1) Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Hiebei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen.
(...)

Auf der anderen Seite wirkt man an der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Amsterdam" mit - die eine "Vorbehaltlose und aktive Unterstützung der Außen- und Sicherheitspolitik der Union im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität" und eine "Enthaltung jeder Handlung, die den Interessen der Union zuwiderläuft" bis hin zu "Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen" von den EU-Mitgliedern einfordert.

Artikel 23f.
(1) Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Amsterdam mit. Dies schließt die Mitwirkung an Aufgaben gemäß Art. 17 Abs. 2 dieses Vertrages sowie an Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt, eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden. Beschlüsse des Europäischen Rates zu einer gemeinsamen Verteidigung der Europäischen Union sowie zu einer Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union bedürfen der Beschlussfassung des Nationalrates und des Bundesrates in sinngemäßer Anwendung des Art. 44 Abs. 1 und 2.

(2) Für Beschlüsse im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V sowie für Beschlüsse im Rahmen der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen auf Grund des Titels VI des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Amsterdam gilt Art. 23e Abs. 2 und 5.

(3) Bei Beschlüssen betreffend friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsatze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen sowie bei Beschlüssen gemäß Art. 17 des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Amsterdam betreffend die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und die engeren institutionellen Beziehungen zur Westeuropäischen Union ist das Stimmrecht im Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten auszuüben.

(4) Eine Zustimmung zu Maßnahmen gemäß Abs. 3 darf, wenn der zu fassende Beschluss eine Verpflichtung Österreichs zur Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen bewirken würde, nur unter dem Vorbehalt gegeben werden, dass es diesbezüglich noch der Durchführung des für die Entsendung von Einheiten oder einzelnen Personen in das Ausland verfassungsrechtlich vorgesehenen Verfahren bedarf.
(BGBl. I Nr. 83/1998, ab 1.1.1999)

Da in der GASP Beschlüsse generell einstimmig gefasst werden und Einstimmigkeit eine zwingende Voraussetzung für die Annahme von Beschlüssen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen ist, wäre jedes Mitgliedsland alleine theoretisch in der Lage die Annahme eines Textes zu blockieren.
Allerdings wäre dies die krasseste aller Möglichkeiten und würde den politischen Spielraum in anderen Bereichen stark einschränken. Solch eine Blockade ist deshalb wohl kaum für längere Dauer und schon gar nicht in schöner Regelmäßigkeit durchführbar.

Einziger gangbarer Ausweg in kritischen Situationen scheint für Mitgliedsländer deshalb eine Stimmenthaltung nach "Artikel 23" (konstruktive Stimmenthaltung) des EU-Vertrages zu sein. Zwar ist man dann "nicht verpflichtet, den Beschluss durchzuführen, akzeptiert jedoch, dass der Beschluss für die Union bindend ist" und hat "alles zu unterlassen was dem auf diesem Beschluss beruhenden Vorgehen der Union zuwiderlaufen oder es behindern könnte".
Ein Beispiel: Die EU beschließt einen "Kampfeinsatz zur Krisenbewältigung" nach Artikel 17. Österreich enthält sich der Stimme und führt den Beschluss nicht durch - nimmt also nicht daran teil. Allerdings darf Österreich das Vorgehen der EU nicht behindern und müsste deshalb z.B. den Durchmarsch von Truppen genehmigen - und das wäre für einen Neutralen ein Vorgang, der sich mit dem Völkerrechtlichen Normen für Neutrale schlicht nicht vereinbaren lässt.

Was in den Verträgen nicht festgehalten ist, aber ebenfalls bedacht werden muss, ist die Stellung eines einzelnen Landes als Mitglied in der Europäischen Union an sich.
Denn diese hat sich von einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft (ehem. EG) inzwischen zu einem politisch sehr viel engeren Gebilde gewandelt. Inzwischen ist man nicht "nur" gemeinsamer Wirtschaftsraum, sondern hat auch großteils die selbe Währung, teilweise eine Gesetzgebung - bis hin zur Suche nach einer gemeinsamen Verfassung - und betreibt nun auch eine gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Europäische Union ist also eine sehr viel engere Verbindung unter den Mitgliedern als es die UNO oder die NATO ist.
Eine Verbindung die Rechte wie - paraphierte und moralische - Pflichten mit sich bringt und, die es zum Wohle des Ganzen, Einzelnen auf die Dauer kaum erlauben kann sich ständig um "unangenehme Dinge" herumzudrücken.
Österreich wird sich auf kurz oder lang damit abfinden müssen, dass die normative Kraft des Faktischen stärker werden und die "Neutralität" beständig in den Hintergrund drängen wird - zumal diese schon seit vielen Jahren nicht mehr "gelebt" wird und in Zukunft durch die "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" nicht mehr "gepflegt" werden kann.


Letzte Aktualisierung: 26.07.2002