1968 - Tschechenkrise
 
 

Tschechenkrise

Zwei Einflüge am 23. August 1968, welche aufgrund der Route als Aufklärungseinsätze eingestuft wurden. 12:44 bis 12:57 - Drosendorf - Gars/Kamp - Stockerau - Aspern - Bruck/Leitha - Neusiedl/See - Andau
13:05 bis 13:12 - Laa/Thaya - Wolkersdorf - Deutsch Wagram - Petronell - Nickelsdorf
Einige Verletzungen des österreichischen Luftraumes während der CSSR-Krise 1968. Insgesamt wählte man 49 Luftraumverletzungen in Nordost-Österreich.
(Grafiken aus dem Buch von Wolfgang Hainzl: "Die Luftstreitkräfte Österreichs von 1955 bis heute")
Mehr Aufmerksamkeit widmete man hingegen dem Nachbarland "Tschechoslowakei". Dort bereiteten die Warschauer Pakt-Staaten durch Truppenbewegungen den Einmarsch in die damalige CSSR vor. Die Konfrontation "Panzerkommunismus" gegen "Prager Frühling" zeichnete sich ab und kam für die österreichischen Luftstreitkräfte keineswegs unvermutet. Die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, Berichte von Reisenden sowie Kommentare der Massenmedien waren eindeutig genug. Bereits im Juli hatte es Gespräche zwischen dem Bundesministerium für Inneres und dem Bundesministerium für Landesverteidigung gegeben und der Generaltruppeninspektor Gen. Fussenegger hatte Weisungen für vorbereitende Maßnahmen zur Sicherung der Grenze durch das Bundesheer erlassen. In den Einheiten und Verbänden der Luftstreitkräfte war für die Maßnahmen in diesem Fall der Deckname "Urgestein" vorbereitet. Die Klarstande in den fliegerischen Verbanden wurden durch eine entsprechende Steuerung hoch gehalten. So stellte dann auch der Einsatzbefehl die Luftstreitkräfte vor keine größeren Probleme:

BMfLV Zl. 7.258-geh-Stb/68
21. 8. 1968
"Geheim"

... 6.Kdo LStrKr stellt
a) mit allen einsatzbereiten Flugzeugen (Verbindungsflugzeuge, Hubschrauber und Saab J-29) eine laufende Luftüberwachung des Grenzraumes durch Aufklarungsfluge sicher. Entsprechende Sicherungsabstande zur Vermeidung von Grenzverletzungen sind einzuhalten.
b) hält die Großraumradarstation (Kolomannsberg) durchlaufend zur Überwachung des Luftraumes betriebsbereit...

Bereits in den frühen Morgenstunden des 21. August wurden die Luftstreitkräfte alarmiert. Im Bereich des Flugmelderegimentes bedeutete dies folgende Maßnahmen: das Radarbataillon (ortsfest) nahm sofort den durchgehenden 24-Stunden-Betrieb in der Großraumradarstation Kolomannsberg auf.
Neben dem am Stiftbunker fix montierten Radar wurde auch ein AN/TPS-1 des Radarbat. im Mühlviertel eingesetzt.
(Bild aus dem Buch von Wolfgang Hainzl: "Die Luftstreitkräfte Österreichs von 1955 bis heute")
Weiters setzte man einen Zug des Radarbataillons (motorisiert) in Marsch, um das Radar am Stiftsbunker in Wien durchgehend zu betreiben, ein zweiter Zug wurde ins Mühlviertel abgestellt. Zudem gab es eine Luftlagedarstellungsgruppe beim Kommando der Luftstreitkräfte, die in ständiger Verbindung mit der Flugmeldezentrale am Kolomannsberg und einem Verbindungskommando zum zivilen Air Traffic Control Center in Schwechat stand.
Auch das JaBo-Geschwader 1 wurde per 21.August in Alarmbereitschaft versetzt, mit allen Maschinen zwischen 8-16:30, bis Sonnenuntergang mit zwei Rotten. Die zweite Staffel verlegte von Graz nach Hörsching und von 22. bis 25. August versuchte man fast ständig eine Rotte in der Luft zu halten. Registrierung der Einflüge durch die Flugmeldeorganisation der Luftstreitkräfte und durch andere Sicherheitsorgane ermöglichten jedenfalls der Bundesregierung entsprechende Protestnoten an die Sowjetunion abzufassen. Bereits am Abend des 21. August 1968 berief Außenminister Waldheim den sowjetischen Botschafter Podzderov zu sich, um gegen die zahlreichen Luftraumverletzungen zu protestieren. Generell zeigte die Regierung in der Verfolgung dieser Luftraumverletzungen jedoch große Zurückhaltung, so sagte Verteidigungsminister Prader (ÖVP) in einem Interview, dass sowjetische Maschinen durchaus in Reichweite der FlA-Geschütze einflogen: "Wir hatten also jederzeit einzelne herunterholen können. Allerdings schießen wir nicht gleich, da sich hier sehr ernste Konsequenzen ergeben können. Nur, wenn trotz Protests diese Einflüge kein Ende genommen hatten, dann hätte sich die Regierung über weitere Maßnahmen Gedanken machen müssen - aber die Einflüge haben dann aufgehört..." Mit dieser Aussage wollte der Minister vermutlich von der erkannten Ohnmacht der Landesverteidigung ablenken, denn zumindest die Aufklärer flogen außerhalb des Wirkungsbereiches der damaligen Fliegerabwehr (max. ca. 8000 m Hohe).
Trotzdem waren die Erkenntnisse aus der CSSR-Krise für die Luftstreitkräfte wenigstens teilweise positiv: Die Truppe hatte die an sie gestellten Anforderungen - im Rahmen ihrer Möglichkeiten und des demonstrierten politischen Willens - voll erfüllt.

Die nach der Krise begonnene öffentliche Diskussion über den Einsatz des Bundesheeres, befasste sich in Anbetracht der vielen Luftraumverletzungen natürlich stark mit den Luftstreitkräften. So schrieben die bekannten Völkerrechtler Zemanek und Neuhold in "Die österreichische Neutralität im Jahre 1968" u. a.: "... Die militärischen Maßnahmen, welche die österreichische Bundesregierung während der Ereignisse in der CSSR ergriff, lenkten die Augen der Öffentlichkeit vor allem auf den ungenügenden Schutz des Luftraumes...".
Im September 1968 wies auch der Landesverteidigungsrat erstmals in einer bis heute wirkenden Grundsatzdebatte der 2. Republik auf die Dringlichkeit einer Beschaffung von "echten" Abfangjägern hin.