Print
Der Krieg im Äther         Seiten:   1   2   3   4   5   6   7   8   9   10   11   12   EW Begriffe   ARIES   GROWLER   DASS
< Zurück
3) SIGINT, ELINT und COMINT
Weiter >
5) EUROPA
EW Begriffe Die Aufklärer
EP-3E Aries II
Die Kämpfer
EA-18G Growler
Die Geschützten
DASS & Co

4) Live and let die - EW im Vietnam-Konflikt

Anfang der 60er Jahre wurden die USA in Vietnam immer mehr aktiv involviert. Erstmals analysierte die US-Navy 1961 die Fliegerabwehr-Kapazitäten Nordvietnams, welche damals noch aus einigen veralteten Frühwarnanlagen sowjetischen Ursprungs bestand. Bis 1964 war das System auf 22 Frühwarnanlagen und vier Feuerleitradaranlagen für Fliegerabwehrkanonen ausgebaut. Als es 1964 zu einem Zusammenstoß zwischen US-Kriegsschiffen und Vietnamesischen Patrouillenbooten kam, ordnete Präsident Johnson Luftangriffe vorerst auf nordvietnamesische Marineanlagen an. 64 Maschinen der US-Navy griffen an, zwei wurden von Fliegerabwehkanonen abgeschossen. In den kommenden Monaten weiteten sich die US Luftangriffe aus, die Verluste stiegen. Sowjets und Chinesen entsandten große Mengen an Flakgeschützen und Feuerleit-Radaranlagen nach Nordvietnam. Von Jänner bis Juli 1965 gingen über Nordvietnam 51 Kampflugzeuge der US-Air Force und Navy verloren. Die hochmodernen Jets hatten schwer mit den relativ simplen Fliegerabwehrkanonen zu kämpfen - es musste etwas unternommen werden.

Das Tactical Air Command ließ mit einem Notfallprogramm 150 Störbehälter ("Jammerpods") der Type QRC-160-1 herstellen. 2,5m lang und kaum 50kg schwer war er in der Lage, Feuerleit-Radaranlagen der Typen Fan Song und Fire Can für Fliegerabwehrkanonen und Fliegerabwehrraketen im D/E-Band zu stören. In Vietnam konnte sich die PACAF aber nicht recht anfreunden mit den Pods. Man war eher daran interessiert Bomben abzuwerfen, als einen Außenlastträger an ein Ding zu verschwenden, mit dem man nicht recht wusste was man damit tun sollte bzw. konnte. Kinderkrankheiten taten ihr übriges, denn das Klima setzte der Elektronik zu und die mitunter schweren Erschütterungen beim Rollen am Boden und im Flug schüttelten so manchen Elektronikbauteil aus den Platinen. Die Pods wurden als nutzlos betrachtet und wanderten ins Depot. Die Verluste steigen weiter - und die Probleme sollten noch viel größer werden.

Im April 1965 brachte ein RF-8A Crusader Aufklärer der US-Navy Luftaufnahmen einer im Bau befindlichen SA-2 Stellung zurück auf die USS Coral Sea (CVB 43). Air Force und Navy wollten die in Bau befindliche Stellung angreifen, doch Präsident Johnson verbot den Einsatz aufgrund der Befürchtung, es könnten sowjetische Berater dabei zu Schaden kommen.

Am 24.Juli 65 geschah das unvermeidliche. Zwei Staffeln bestehend aus F-4C Phantoms und F-105 Thunderchiefs kamen bei einem Einsatz gegen ein Ziel nordwestlich von Hanoi unter SA-2 Beschuss. Eine Phantom ging verloren und drei andere wurden beschädigt, von etwas dass die Piloten als "fliegenden Telefonmast" beschrieben. Die Einsatzpiloten waren ratlos, ihre Intelligence-Officers aber wussten genau was los war.

F-105D Thunderchief
Foto: USAF

QRC-160-1 Jammer Pod
Foto: USAF / Hill AFB Museum

Das S-75 Dvina System (NATO: SA-2 "Guideline")

Die SA-2 ist eine der weitverbreitetsten Fliegerabwehrlenkwaffen der Welt. Sie ist in stark modifizierten Ausformungen bis heute in vielen Ländern der Welt im Einsatz.
Das System besteht aus einer in der NATO als "Fan Song" bezeichneten Feuerleitanlage um welche kreisförmig sechs Werfer mit je einer Lenkwaffe aufgestellt werden.

Die Lenkwaffe ist 10,7m lang, besitzt einen Durchmesser von 50-65cm und eine Flügelspannweite von 2,65m. Sie ist mit einem Feststoff-Starttriebwerk und einer zweiten Stufe mit Flüssigkeitstreibstoff als Marschtriebwerk ausgestattet. Das Startgewicht beträgt 2.283kg, der Gefechtskopf 190kg. Es können mit der Lenkwaffe Einsatzhöhen bis 25.000m und Entfernungen bis 34.000m erreicht werden.

Um eine SA-2 erfolgreich einsetzen zu können bedarf es einer Reihe von Voraussetzungen.
Grundvoraussetzung sind Radardaten einer Frühwarn- bzw. Luftraumüberwachungsanlage, welche Entfernung, Richtung, Höhe und Flugrichtung an das "Fan Song" Feuerleit-Radargerät der SA-2 übermittelt. Nur mit diesen Daten ist die Fan Song-Crew in der Lage ein einziges Ziel zu erfassen, denn selbst größere Lufträume absuchen oder eine Mehrfachzielverfolgung kann es nicht.
Fan Song erfasst das Ziel mit zwei Radarkeulen. Eine Keule misst die Höhe, die andere misst den Winkel in der Horizontalen. Aus diesen Daten wird präzise die Position und der Flugpfad ermittelt. Gleichzeitig kalkuliert der Computer den Vorhalt für die Rakete zum voraussichtlichen Treffpunkt.
Liegt der vorausberechnete Treffpunkt innerhalb der Reichweite der SA-2 Rakete, werden üblicherweise zwei und bis zu max. drei Raketen auf ein Ziel gestartet. Die Rakete fliegt bis zu Mach 3,5 schnell, hat selbst keinerlei Zielerfassung und wird daher bis zum Einschlag ferngesteuert.
Jede Rakete trägt einen kleinen Radarpeilsender (=Downlink) um vom Boden aus verfolgt werden zu können. Ändert das Ziel seine Richtung errechnet der Fan Song-Computer einen neuen Abfangkurs und übermittelt diesen per Funk an die Rakete(n) (=Uplink). Ein Radar-Annäherungszünder in der Rakete oder ein Funksignal des Fan Song an die SA-2 zünden am Schluss den Gefechtskopf.

Das Fan Song Feuerleitradar

SA-2 Lenkwaffe beim Start


SA-2 Stellung im Detail
Foto: USAF

Typisches Layout einer SA-2 Stellung
Foto: USAF

Der 190kg Gefechtskopf verrichtet seine Arbeit und trifft einen RF-4C Aufklärer.
Foto: USAF
Eines war den Piloten an der Front klar - es musst etwas geschehen. Drei Tage nach dem Abschuss der Phantom startete die US Air Force die Operation "Iron Hand" mit dem Ziel die zwei betreffenden SA-2 Stellungen zu zerstören. Der Einsatz endete in einem Desaster. Ohne Erfahrung und ohne vorhergehende Tests griffen 54 F-105, bewaffnet mit Napalm-Bomben, die Stellungen an - sechs F-105 und eine der begleitenden RF-101 Aufklärer gingen durch Flaktreffer verloren. Noch niederschmetternder war aber das Ergebnis der Luftaufklärung über das Trefferergebnis. Die Nordvietnamesen hatten in Erwartung des Angriffs die Stellung geräumt und die wertvollen Geräte durch Holzmodelle ersetzt... Jedenfalls war jetzt klar, dass eine erfolgreiche Bekämpfung der Anlagen geeignete Techniken und Taktiken erfordern würde.

Am 13. August 1965 rief der Chief of Staff der USAF, Gen. John P. McConnell, eine "SAM Task Force" ins Leben, welche rasch Ergebnisse lieferte. Eine Reihe von "schwarzen Programmen" wurde angezapft und verknüpft. Aus einem Radarwarnempfänger des SAC (Strategic Air Command) für die B-52 war ein Leichtgewichtmodell für die U-2 entwickelt worden. Der "Vector"-Empfänger arbeitet im 2-12 GHz Bereich und wies auf einem kleinen Instrument die Richtung des Emitters. Um die Identifizierung zu erleichtern, konnte der Operator das empfangene Radarsignal anhören. Gemeinsam mit einer anderen Neuentwicklung, dem IR-133 Panorama-Radarempfänger wurden zwei F-100 ausgesucht und unter dem Codenamen "Wild Weasel" binnen 45 Tagen mit den Empfängern ausgerüstet.

Und auch der Pod-Problematik nahm man sich wieder an. Techniker verbesserten die Zuverlässigkeit der Pods erheblich. Und Taktiker setzten sich mit der Wirkung der Pods auseinander um später den Einsatzpiloten klare Grundsätze für deren Verwendung geben zu können.

Zu diesem Zweck wurde auf der Eglin Air Force Base in Florida der "Soviet Air Defense Simulator 1" (SADS-1) errichtet. SADS-1 war eine Radaranlage in einem Gebäude. Auf deren Dach befand sich eine Antenne unter einer Kuppel. Es sah gar nicht danach aus, aber die Emissionen der Anlage entsprachen in Frequenz, Signalstärke und Ausbreitung - soweit man das aus den bisherigen PPMS-Messungen abschätzen konnte - denjenigen des Fan Song Modell B. Die Anlage wurde fortan entsprechend aller neuen Erkenntnisse immer wieder neu angepasst, während fortlaufend Jammerpods und Radarwarnempfänger gegen die Anlage getestet wurden um deren Wirkung abschätzen zu können.

Ende 1965 war der erste Wild Weasel Verband einsatzbereit. Vier modifiziert F-100F wurden nach Thailand verlegt um von dort aus den Kampf gegen die SA-2s aufzunehmen. Der Plan war schwierig, aber durchführbar. Die F-100Fs sollten die Fan Songs und Fire Cans Auskundschaften und mit 2.75in Rauchraketen die Stellung markieren, welche in Folge von F-105s mit Kanonen, Raketen, Streubomben und Napalm angegriffen würden. Auch diesmal ging der erste Einsatz schief. Aber die Crews vertrauten dem Konzept und mit der Praxis kamen auch Erfolge.

Um der SA-2 weitere Geheimnisse zu entreißen wurde eine SIGINT-Version der Ryan 147 Zieldrohne entwickelt um Daten zu sammeln. Nach mehreren Fehlversuchen aufgrund technischer Probleme gelang am 13. Februar 1966 ein Flug mit durchschlagendem Erfolg. Die Drohne wurde wie gewünscht von den Nordvietnamesen mit zwei SA-2 abgeschossen - aber übermittelte bis zum Schluss die Radarsignale des Fan Song an eine in Sendereichweite kreisende Boeing RB-47E "Stratojet". Man hatte nicht nur die volle Signalstärke des Zielfolgeradars sondern auch die vollen Sequenzen des Raketen Up- und Downlinks sowie auch das Signal zur Aktivierung des Radar-Annhäherungszünders.

Im Frühjahr 1966 kam auch der nächste Schritt im "Wild Weasel" Programm - die AGM-45 Shrike - die erste funktionsfähige Antiradar-Rakete. Shrike war eine erhebliche Verbesserung gegenüber den zuvor in Verwendung gestandenen ungelenkten Raketen, hatte aber auch Schwächen. Gegen die Fire Cans bewährte sie sich gut, aber im Duell mit dem Fan Song war sie unterlegen. Shrike erreichte etwa Geschwindigkeiten um Mach 2 und Reichweiten von 8 Meilen. Damit musste man weit innerhalb der Erfassungs- und Bekämpfungsdistanz des SA-2 Systems operieren - welches ab 13 Meilen Entfernung mit Mach 3+ schnellen Raketen schoss.

Die Weasel-Crews versuchten das Beste daraus zu machen und adaptierten ihre Angriffsprofile in dem sie mit schellen Steig- gefolgt von Sinkflügen der Rakete mehr Schwung mitgaben, wodurch sich die Rechweite der Shrike auf bis zu 12 Meilen steigern lies. Aber selbst dann war ein sehr genauer Treffer erforderlich um mit dem 25kg Gefechtskopf das Radar außer Betrieb zu setzen. Und die Vietnamesen lernten schnell. Sie erkannten das Angriffsprofil und entdeckten bald, dass Shrike die Aufschaltung verlor wenn das Radar außer Betrieb genommen wurde. Aber selbst das wurde von den Amerikanern als Teilerfolg gewertet - ein Fan Song in Ruhe konnte keine SA-2 abschießen, was insgesamt die Gefährdung aller im Gebiet befindlichen Kampfflugzeuge verringerte.

Auch mit den Jammer-Pods war man inzwischen weiter gekommen, man hatte die Zuverlässigkeit der Pods verbessert und Taktiker erarbeiteten Regeln für den Einsatz. Dabei zeigte sich, dass ein einzelner Pod schwer die Funktion des SA-2 Systems beeinträchtigen konnte, da das Störvermögen kaum über die Auflösung des Fan Song hinausging. Eine Formation aus vier Flugzeugen, mit einem Abstand von horizontal und vertikal von je ca. 550m zueinander, wäre hingegen vor Erfassung geschützt, da auf den Bildschirmen für die horizontale und die vertikale Keule bei beinahe allen Kombinationen aus Richtung und Entfernung die einzelnen Flugzeuge nicht mehr auszumachen wären.

Mit diesen Erkenntnissen und 25 verbesserten QRC-160-1 Jammerpods machten sich die EW-Spezialisten auf zur Takhli AFB/Thailand. Das dort stationierte F-105 Geschwader hatte eine Soll-Stärke von 54 Maschinen - und hatte im Zeitraum Juli/August 1966 ganze 27 Maschinen und 18 Piloten im Einsatz verloren.

Die Crews waren skeptisch, stimmten aber letztendlich zu, einen Schwarm (4 Maschinen) mit zwei Pods je Maschine auszurüsten und im realen Einsatz ab 26. September 1966 zu evaluieren. Der härteste und abschließende Test fand am 8. Oktober 1966 statt, während eines Angriffes auf ein Treibstoffdepot in einer stark verteidigten Zone. Während sich das Geschwader insgesamt heftiger Gegenwehr der Fliegerabwehr ausgesetzt sah, blieben jene zwei Schwärme, welche inzwischen Pods trugen, sowohl von SA-2 als auch von der Flak unbehelligt.

Die Reaktion der Piloten auf die Evaluierungsergebnisse war konträr zur vorher geäußerten Skepsis. Nun forderten alle Piloten des Geschwaders Pods auf ihre Maschinen. Die Elektroniker bei General Electric taten ihr bestes um die durch Lagerhaltung funktionell beeinträchtigten QRC-160-1 Pods auf Vordermann zu bringen. Die PACAF entsandte ein starkes Kontingent an Techniker nach Thailand um die Geräte im Betrieb zu warten. Und auch andere Geschwader meldeten dringenden Bedarf nach den Jammerpods an.

Eine vor/nach Momentaufnahme zeigte deutlich die Wirkung der Pods. In den sechs Monaten vor Einführung der Pods gingen im Kampfeinsatz über Nordvietnam 70 F-105Ds an die Flak verloren und zwei an die SAMs. Die Pods erlaubten es, die Einsatzflughöhe wieder über die Reichweite der Flugabwehrkanonen in den SAM-Wirkungsbereich zu heben. In den sechs Monaten nach Einführung der Pods fielen die Verluste an die Flak auf 20 und drei Maschinen gingen an SAMs verloren. Das obwohl die Fliegerabwehr ständig stärker und die Einsätze öfter in stark verteidigte Bereiche geflogen wurden.

Die F-105 Thunderchief
SA-2 "Guideline"

Gen. John P. McConnell, Vater der "SAM Task Force"
Foto: USAF

Ein Schwarm F-105 Thunderchiefs wirft mit Radarunterstützung durch eine B-66 Bomben durch die Wolkendecke über Nordvietnam.
Foto: USAF

Die USAF lies bewusst Drohen der Type Ryan 147E "Lightning Bug" durch die Nordvietnamesische Fliegerabwehr abschiessen. Die Drohne übermittelte die Funksignale bis zum Einschlag der SA-2 an eine elektronischen Aufklärer der Type Boeing RB-47E "Stratojet".
Foto: Ryan Aviation

Eine Wild-Weasel-Phantom feuert eine Shrike-Anti-Radar-Rakete ab.
Foto: USAF

WEITER - >